Die roten Blüten der Sehnsucht
zurückgeblieben?« Catriona klang halb amüsiert, halb verächtlich, als sie hinter Dorothea den Hügel hinabstieg. » Oder hatte sie so große Angst vor einer Strafe?«
» Erinnerst du dich, was ich euch vorhin über Schadzauber erzählt habe?«, erwiderte Dorothea. » Über die Suche nach der Todesursache?«
» Das ist doch nicht dein Ernst?« Catriona sah aus, als würde sie jeden Moment in schallendes Gelächter ausbrechen. » Nur, weil das Trampel gestolpert ist, verdächtigen sie jetzt mich, eine Zauberin zu sein?«
» Nicht nur eine Zauberin. Auch eine Mörderin.« Mrs. Perkins vergewisserte sich, dass Vicky und Robert außer Hörweite waren, ehe sie fortfuhr: » Ihrem Glauben nach hat Nokunna Mannaras Schritte gelenkt und ebenso die Zweige. In den Augen der Eingeborenen gelten Sie als überführt, Miss Grenfell.«
» Wie mittelalterlich! Muss ich jetzt fürchten, verbrannt zu werden?« Catriona schien das Ganze eher lächerlich zu finden. » Oder was machen sie mit ihren Hexen?«
Ehe Dorothea antworten konnte, meldete Percy sich zu Wort. » Und wenn sie nun absichtlich gestolpert ist?«, fragte er argwöhnisch. » Das wäre doch möglich, oder?«
» Warum hätte sie das denn tun sollen?«, fragte Mrs. Perkins nüchtern. » So raffiniert sind die Eingeborenen hier nicht. Und Mannara schon gar nicht. Für die lege ich meine Hand ins Feuer.« Der Blick, mit dem sie Percy bedachte, war nicht gerade freundlich.
» Natürlich war es ein unglücklicher Zufall.« Dorothea hatte nicht die geringste Lust darauf, diese unerfreuliche Diskussion weiterzuführen. » Aber Zufälle gibt es für sie nicht. Sie sehen in allem eine Botschaft von irgendeinem ihrer Geister. Sobald sie sich beruhigt haben, wird Ian mit ihnen sprechen.«
Als sie sich dem Haupthaus gerade auf zwanzig Schritte genähert hatten, ertönte das Horn des Postdampfers.
» Na endlich«, brummte Mrs. Perkins. » Ich hatte schon befürchtet, der gute Captain würde sich überhaupt nicht mehr den Murray hoch trauen. Ob er einen Brief von Miss Heather dabeihat?«
Das hatte er. Außerdem noch einen aus schwerem Büttenpapier mit dickem Siegel sowie einen für Lady Chatwick von deren Freundin aus Sydney. Der dicke Stapel der Mysteries of London stimmte Dorothea trübsinnig. Welche Freude hatte Lady Arabella immer an ihren blutrünstigen Geschichten gehabt!
» Lady Chatwick ist leider letzte Nacht verstorben«, sagte sie und hielt sie unschlüssig in den Händen. Was sollte sie jetzt damit anfangen?
» Nein, wirklich?« Der Kapitän riss schockiert die Augen auf. » Die alte Dame war doch noch prima in Schuss. Einfach so?«
» Sie ist im Schlaf gestorben«, bestätigte Dorothea. » Niemand hat etwas mitbekommen. Das Mädchen hat sie heute Morgen so gefunden, als sie ihr den Tee bringen wollte.«
» Schade um sie. Sie war ein richtiges Original.« Der Mann schüttelte betrübt den Kopf. » Na ja, irgendwann sind wir alle dran, nicht wahr?«
Nach einigen weiteren Bemerkungen dieser Art machte er sich auf den Rückweg. Weiter flussaufwärts war ihm die Lage zu gefährlich. » Schon bis hierher hat mein Maat ständig den Bootshaken einsetzen müssen, um uns einen Weg durch all das Mistzeugs da zu bahnen.« Verächtlich wies er auf die undurchsichtige Wasseroberfläche, aus der überall kahle Zweige und größere Äste der Eukalyptusbäume ragten. » Es wird Zeit, dass der Magistrat endlich Maßnahmen gegen das Schwemmholz trifft. Weiter unten haben sie schon damit begonnen, die Ufer zu roden. Dort kommt man prima durch.«
Dorothea hätte es jammerschade gefunden, die malerischen, knorrigen Baumriesen zu fällen, die an diesem Teil des Murray River noch die Ufer säumten. Sie gehörten einfach dazu. Auch wenn sie die Eigenheit hatten, ohne Vorwarnung große Äste fallen zu lassen. Wer hier lebte, hielt respektvollen Abstand und ging nicht leichtfertig unter ihnen spazieren. Aber das war doch kein Grund, sie alle abzuholzen!
» Was wirst du jetzt damit tun?«, fragte Catriona und wies auf die Mysteries of London sowie den Brief von Lady Chatwicks Freundin. » Ich hätte ihm gleich alles wieder mitgegeben.«
Catriona hatte recht. Dorothea ärgerte sich ein wenig über sich, dass sie nicht selbst daran gedacht hatte. Aber es würde auch nicht schaden, alles aufzuheben bis zum nächsten Mal.
Auf dem Weg ins Kontor, wo der Postkorb seinen Platz hatte, begegnete sie Ian. Er wirkte etwas erschöpft, als er ihr, schwer auf seinen Stock gestützt,
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