Die roten Blüten der Sehnsucht
zurück ins Lager geschickt wird.«
Beide erblassten sichtlich. Dorothea fühlte zwar heiße Scham über ihr Verhalten, das man nur als Erpressung bezeichnen konnte. Natürlich dachte sie gar nicht daran, ihre Drohung wahr zu machen, aber sie musste endlich mehr darüber wissen. Die beiden Aborigines sahen sich an, und Parnko sprach schnell und überhastet auf sie ein. Mannara schien sich zuerst zu weigern, dann jedoch sackten ihre Schultern nach vorn und sie brach in Tränen aus. Immer noch schluchzend stieß sie ein paar Sätze hervor.
» Was sagt sie?«
» Wenn sie über das Mädchen spricht, werden die Ahnengeister sie töten. Sie möchte nicht sterben. Nicht jetzt.«
Dieser verfluchte Aberglauben! Vor Frustration hätte Dorothea sie am liebsten kräftig geschüttelt. Stattdessen bemühte sie sich um einen ruhigen Tonfall und sagte: » Unsere Ahnengeister sind mächtiger als die euren. Hier auf Eden House muss sie eher Angst vor unseren Ahnengeistern haben. Und die wollen, dass sie mir alles erzählt. Sag ihr das!«
Mannara hörte zumindest auf zu schluchzen, schien aber noch nicht ganz überzeugt.
» Die Ahnengeister ihres Mannes gehören zu den mächtigsten bei den Ngarrindjeri. Alle fürchten sie. Woher soll sie wissen, dass eure sie gegen sie beschützen können?«
Dorothea erinnerte sich plötzlich an den Messingknopf mit dem Abbild des Gottes Janus, den sie heute Morgen auf der Treppe liegen sehen und eingesteckt hatte. Er gehörte an Robbies Sonntagsrock, aber der würde es auch nicht bemerken, wenn sie sämtliche Knöpfe abtrennte.
Mit feierlichem Gesicht zog sie ihn aus ihrer Tasche. » Dies hier ist ein mächtiges Amulett«, erklärte sie. » Der Ahnengeist mit den zwei Gesichtern hat mich bisher vor allem Unheil behütet. Ich gebe ihn dir, wenn du mir die Wahrheit sagst.«
Offensichtlich beeindruckt studierten die beiden das fremdartige Bildnis. Schließlich nickte Mannara, als sei sie zu einem Entschluss gekommen. Sie umklammerte den schützenden Knopf, als erwarte sie, jeden Augenblick von einem Blitz niedergestreckt zu werden, als sie heiser und hastig zu flüstern begann. Parnko übersetzte stockend.
» Der Häuptling hat allen verboten, darüber zu Engländern zu sprechen. Wer es dennoch tut, dem werden die Geister Augen und Zunge herausreißen. Sie werden ihre Eingeweide in alle Himmelsrichtungen verteilen, und die Haut wird von Adlern auf das Meer getragen.«
Eine wirksame Einschüchterung bei Menschen, die sowieso in panischer Angst vor ihren Dämonen und Ungeheuern lebten!
» Die Geister der Ngarrindjeri haben hier keine Macht«, sagte Dorothea beruhigend. » Sie können also gar nicht wissen, dass du geredet hast. Solange du auf unserem Gebiet bleibst, bist du in Sicherheit.« Nicht nur, was die Geister betraf. Auch Worammo würde es jetzt nicht mehr wagen, sie im direkten Umfeld des Gutshauses anzugreifen.
Ihre Argumentation, die ihr selbst etwas kindisch erschien, erwies sich als die richtige. Mannara schniefte kräftig, wischte sich mit dem Handrücken über Gesicht und Nase und begann, leise und schnell zu sprechen.
» Sie sagt, dass dieses Kind zu einer Verwandten ihres Mannes gehört. Sie hat nicht selber mit ihr gesprochen, aber an der Sprache gehört, dass sie aus dem Süden stammt. Sie lebt ohne Mann. Vor einiger Zeit hat sie sich dem Stamm angeschlossen, bleibt aber mit dem Kind für sich in ihrem eigenen Windschirm. Sie hält sich an keine Tabus. Als einige ältere Frauen sie daraufhin tadelten, hat sie gedroht, sie zu verfluchen. Seitdem gehen alle ihr aus dem Weg.«
Das war sehr seltsam. Alleinstehende Frauen, meist Witwen, die keinen Sohn hatten, der sie in seine Familie aufnahm, galten bei den Eingeborenen weniger als Hunde. Alt und verbraucht, wie sie waren, dauerte ihr trostloses Dasein meist nicht mehr lange. Im Regelfall wurden sie nicht einmal verscharrt, wenn sie starben, sondern den wilden Tieren überlassen. Protector Moorhouse hatte, als er in der Literarischen Gesellschaft über das traurige Los dieser Frauen sprach, erzählt, dass er eine pietätvolle Bestattung praktisch hatte erzwingen müssen. Es war äußerst ungewöhnlich, dass eine Frau dieses Schicksal freiwillig auf sich nahm und dann auch noch damit zurechtzukommen schien.
» Warum darf niemand über sie sprechen?«
Die Ratlosigkeit in Mannaras Gesicht war ehrlich. Offensichtlich wusste sie tatsächlich nicht, wieso um diese Frau und ihr Kind so ein Geheimnis gemacht wurde. Dorothea hätte
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