Die roten Blüten der Sehnsucht
nachgewiesen, mal nicht. Den endgültigen Beweis erbrachte erst der berühmte Professor Orfila, der eigens aus Paris anreiste, um die letzten Überreste der Proben dem Verfahren zu unterziehen. Seine positiven Ergebnisse, in Verbindung mit dem hohen Gehalt von Arsenik in den Speiseresten, ließen das Gericht zum Urteil » lebenslänglich« kommen.
Die darauf folgenden jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern und Kritikern der Marsh’schen Probe machten den Fall weltberühmt und lenkten die Aufmerksamkeit auf den viel zu sorglosen Umgang mit dem gefährlichen Gift. Wie der Register mahnend bemerkte: » Auch bei uns hier in Südaustralien wird Arsenik praktisch an jeder Straßenecke ausgelegt, ungeachtet der Gefahren für die Eingeborenen, die es für Mehl halten. Wir wollen keinem Kolonisten Böswilligkeit unterstellen, aber es ist dringend notwendig, die Verantwortung für diesen allgegenwärtigen Gifteinsatz zu schärfen.«
Ohne die beiden Gerichts-Constables, die ihnen einen Weg durch die Menge bahnten, wäre es fast unmöglich gewesen, durchzukommen. Da die Plätze im Saal begrenzt waren, hatten nur die vorderen Reihen eine reelle Chance, eingelassen zu werden, und verteidigten ihre Stellung energisch gegen jeden, der es wagte, sich vorzudrängeln.
Beklommen sah Dorothea sich um. » Bitte sehr. Wenn die Herrschaften mir bitte folgen wollen.« Der Gerichtsdiener in schwarzem Anzug und Ärmelschonern bat sie unter Verbeugungen in den großen Saal. Gemessen an anderen Gerichten war er jedoch eher klein: Mehr als fünfzig Leute würden hier nicht Platz finden. An der Wand gegenüber der Eingangstür war die Richterbank– ein langer Tisch aus Eukalyptusholz, nach vorn zu verkleidet wie eine Empore. Der Gerichtsschreiber hatte sich mit seinem Vorrat an Schreibfedern schon an seinem Tischchen eingerichtet, vor ihm lagen ein Stapel Papier, das Tintenfass und die Sandstreubüchse.
Da es keine Gerichtsverhandlung, sondern nur eine formelle Anhörung war, hatte man die Balustrade » the bar«, hinter der die Angeklagten sich aufzuhalten hatten, entfernt und stattdessen einige gepolsterte Stühle bereitgestellt. Ein hochgewachsener Mann, der die kraftvolle Nervosität eines edlen Rennpferdes ausstrahlte– eine Ähnlichkeit, die durch seinen Gesichtsschnitt noch unterstrichen wurde–, lief dort bereits ungeduldig auf und ab.
» Da sind Sie ja endlich«, begrüßte er sie, ohne sich mit Formalitäten aufzuhalten. » Gut, Mrs. Rathbone, ich gehe davon aus, dass sich diese Anklage in Luft auflösen wird. Ihr Gatte hat mich über alles Wichtige in Kenntnis gesetzt, als er mich engagiert hat. Es wird mir ein Vergnügen sein, diesen Dr. Macaulay vorzuführen und den schändlichen Verdacht gegen Sie zu zerstreuen. Neigen Sie zu Ohnmachtsanfällen?«
Dorothea war so verblüfft, dass sie nur stumm den Kopf schüttelte.
» Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Frau je in Ohnmacht gefallen wäre«, beantwortete Ian an ihrer Stelle die seltsam anmutende Frage.
» Gut. Damen, die in Ohnmacht fallen, bringen Richter Cooper immer in fürchterliche Verlegenheit. Und nichts hasst er mehr, als aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden.– Da kommt er übrigens.«
Begleitet vom Gerichtsdiener schritt eine Gestalt in schwarzer Richterrobe auf sie zu. Die standesgemäße Perücke trug er noch unter dem Arm und hätte sie wohl geistesabwesend irgendwo abgelegt, wenn der Gerichtsdiener, erfahren mit seinen Marotten, ihn nicht dezent daran erinnert hätte, sie aufzusetzen.
In altmodischer Höflichkeit begrüßte er die Damen mit Handkuss und ließ es sich nicht nehmen, Percy nach seinem Eindruck von Südaustralien zu fragen, ehe er sich auf seinem Richterstuhl niederließ.
Dorothea musterte ihn hinter ihrem modischen Schleier. Über seine Umständlichkeit und seine zeitweise Unentschlossenheit, die als Unfähigkeit, zu einem abschließenden Urteil zu gelangen, interpretiert wurde, hatten die Zeitungen von Adelaide schon eine ganze Reihe ätzender Kommentare veröffentlicht. Andererseits mussten auch sie anerkennen, dass Richter Cooper seine Sitzungen überaus sorgfältig und ausgewogen führte. Angeblich sollte seine Gesundheit so angeschlagen sein, dass ein zweiter Richter aus London erwartet wurde. Der mächtige Backenbart verbarg einen Großteil seines Gesichts. Seine Augen blickten so freundlich und gütig auf die Menge, die gerade unter lautem Gegröle in den Saal strömte, dass man ihn eher für einen Reverend
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