Die Rückkehr der Königin - Roman
die fast ganz leer waren, da die Bewohner mit Sif in den Krieg gezogen waren. Dort ließen sie sich nieder und warteten auf Melsyrs Signal.
»Wer garantiert uns, dass sie es schafft?«, meinte einer der Männer, wickelte sich in seinen Umhang und legte sich auf einen Haufen loses Stroh. »Fodrun wird wohl kaum seine Erlaubnis dazu geben. Und das vor ihm geheim zu halten ... ich frage mich, ob die kleine Königin dazu imstande ist.«
»Das ist sie«, antwortete Kieran. Er sprach, als wisse er es genau, als hätte er nie daran gezweifelt.
»Hast du das Zweite Gesicht?«, fragte ein Skeptiker in der Dunkelheit.
Am Morgen tauchte wie ein Schatten Melsyrs Sohn auf. Er brachte einen Korb mit Essen und die Nachricht, dass noch nichts bekannt sei. Keiner von ihnen konnte viel essen, aber Kieran bestand darauf – die Warterei war schrecklich, vor allem, weil etwas so Großes vor ihnen lag. Diese Männer waren zwar daran gewöhnt, schwierige Situationen gemeinsam zu meistern, aber zum Reißen gespannte Nerven waren keine angenehme Gesellschaft. Essen würde sie ablenken und ihnen die Zeit vertreiben. Außerdem hatten sie auf die harte Art gelernt, angebotenes Essen niemals zurückzuweisen – sie wussten nie, was sie hinter der nächsten Ecke erwartete.
Gegen Abend kam Melsyr in Uniform zu ihnen. Aber selbst in dem trüben Netz aus Lichtstrahlen, das durch die Dachsparren fiel, konnte man das Strahlen auf seinem Gesicht deutlich sehen. Kieran stand auf.
»Sie hat es geschafft«, flüsterte Melsyr. »Morgen. Nur für eine halbe Stunde, auf der nördlichen Brustwehr, wo die Berge fast bis an die Festung reichen. Es ist der abgelegenste Ort. Zehn Wachen werden bei ihr sein, vier weitere am Fuß der Treppe, und Fodrun persönlich führt den Oberbefehl.«
Einen Moment lang konnte keiner sprechen, weil ihre Herzen so stark schlugen. Dann erhob Kieran die Stimme. Er sprach leise, aber fest, obgleich in seinen Augen blaue Flammen loderten. »Und du?«
»Ich soll einer der vier sein, die die Nachhut bilden«, antwortete Melsyr. Seine Zähne blitzten weiß im düsteren Licht, seine Absichten waren klar. Kieran erkannte das und legte dem Mann die Hand auf die Schulter.
»Allein die Götter wissen, ob oder wann wir dich wieder brauchen«, sagte er als Warnung. »Errege keinen Verdacht. Und vor allem – hilf uns nicht. Am besten wäre es, wenn es dir gelänge, gar nicht dabei zu sein.«
In dem Dämmerlicht konnten sie einander kaum ins Gesicht sehen, aber was zwischen ihnen ablief, brauchte kein Licht. Es waren Dankbarkeit und Stolz; es war eine wilde Freude und eine Liebe, die sich aus einer kommenden engen Freundschaft entwickeln konnte. Melsyr löste sich zuerst, bedeckte kurz Kierans Hand mit seiner und verneigte sich dann.
»Dein Wunsch sei mir Befehl, Mylord«, sagte er. »Ich werde morgen mit jemandem den Dienst tauschen ... obwohl es mich schon ärgert, nicht dort zu sein und mit eigenen Augen zu sehen, wie du die Prinzessin von hier fortbringst. Vielleicht wäre es besser, wenn ich ein Seitentor bewache.« Er grinste. »Doch keine Angst; sollten wir uns an einem Tor treffen, werde ich euch die Passage so weit erleichtern wie ich kann, und du hast mein volles Einverständnis, mit mir so zu verfahren, wie du es zu diesem Zeitpunkt für richtig hältst. Etwas sagt mir, dass du zurückkommen wirst; ich werde hier auf dich warten, bis der Tag kommt. Es wird noch genügend Zeit bleiben«, wiederholte er unwissentlich Sifs Worte.
Dann war er verschwunden. Kieran stand einen Moment lang ganz still, die Hand fiel an seine Seite; dann schlossen sich die Finger um den Dolchknauf, dass die Knöchel weiß hervortraten. Als er sich seinen Männern zuwandte, die in der Dunkelheit warteten, sprach Entschlusskraft aus seiner Haltung und seinem Auftreten. Sie mussten den Impuls herunterschlucken, in Jubelgeschrei auszubrechen, denn das wäre trotz Kierans Entschlossenheit und Mut verfrüht gewesen.
»Wir warten auf den Mondaufgang«, erklärte Kieran knapp. »Dann gehen wir los. Wir müssen vor Ort sein, wenn sie kommen.«
Wieder warteten sie; aber diesmal waren sie wie gespannte Federn, die auf den Moment ihrer Auslösung warteten. Als die von Kieran festgelegte Stunde kam, schlichen sie im Gänsemarsch aus den Ställen. Zehn Schatten, zehn Eindringlinge, die ungebeten ins Herz des Reichs von Sif Kir Hama vordrangen und darauf warteten, den größten Schatz aus seiner Festung zu stehlen. Auf leisen Sohlen überquerten sie das
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