Die Rückkehr der Königin - Roman
– sie schaute ihn nur an, aber manche Dinge sind mit Schweigen am besten auszudrücken. Und dann lächelte er und reichte ihr seine Hand. Sie ergriff sie und legte sie an ihre Wange.
Es hätte ein Augenblick sein können, in dem viele Wahrheiten ans Licht kommen, denn sie waren allein, in sich vertieft, ohne die Gefährten zu beachten. Aber dann brach ai’Jihaar den Zauber seltsam uneinfühlsam, was bei ihr eigenartig kalt und absichtlich wirkte. Weil Anghara so voller Freude über ihre wiedererlangten Sinne und Kieran zu erschöpft von dem Verlust seiner eigenen war, duldeten sie es – und der Augenblick war verloren. Al’Tamar stand neben Kieran mit einem dampfenden Becher khaf , der unerklärlicherweise inmitten dieses Dramas gekocht worden war, und ai’Jihaar beanspruchte Angharas ganze Aufmerksamkeit.
»Du siehst aus, als hättest du mit einer Armee afrit’in gekämpft«, sagte al’Tamar mit mitfühlendem Lächeln. »Da war ein Sekundenbruchteil, in dem du weg warst, uns völlig verloren; ich war mir nicht sicher, ob du die Berührung von ausgerechnet dieser Gottheit überleben würdest. Nun ja – dir ist das ja nicht fremd. Ich habe vergessen, dass du al’Khur persönlich durch die Berge getragen hast.«
»Du hast doch gesagt, dass er mich getragen hat«, erklärte Kieran lakonisch und hielt die Augen auf den dampfenden Becher khaf in seinen Händen gerichtet.
»Vielleicht ein bisschen von beidem«, meinte al’Tamar lachend. »Wenn du sicher bist, dass es dir gut geht ...«
Es gab noch viel zu tun. Aus Höflichkeit und Zuneigung hatte al’Tamar sich zunächst um Kieran gekümmert. Doch andere Arbeiten riefen. Das sah man daran, wie al’Tamar auf den Fußballen neben seinem Schützling hockte, bereit sofort loszurennen, sobald er sich von Kierans Wohlergehen überzeugt hatte.
»Geh schon. Ich werde es überleben«, sagte Kieran nur.
Als al’Tamar sich aufrichtete, und immer noch ein Lächeln in seinen Augen tanzte, erinnerte sich Kieran an etwas. »Warte«, sagte er und streckte einen Arm aus. »Welche Gaben ich in dieser Stunde hatte, um zu geben, habe ich gegeben. Aber ich habe immer noch etwas, das du in meiner Obhut gelassen hast. Vielleicht ist jetzt die Stunde, in der auch du ihr etwas geben kannst, das du für sie aufbewahrt hast. Das ist deine Aufgabe, al’Tamar.«
Er stellte den khaf ab und holte den say’yin mit dem königlichen Siegel heraus, zog ihn über den Kopf und hielt ihn al’Tamar entgegen. Als dieser sich herabbeugte, um den Talisman an sich zu nehmen, war seine Miene nachdenklich. »In der hai’r habe ich gar nicht daran gedacht«, sagte er. »Aber es wäre dir übel ergangen, hätte ai’Daileh das bei dir gefunden. Say’yin sind ein Geheimnis auf dem Weg ... du, als fram’man , hättest nie einen sehen, geschweige denn tragen dürfen. Wie kommt es, dass ihr das entgangen ist? Sie hatte dich für ein Opfer vorbereitet ...«
Unwillkürlich schüttelte sich Kieran, als er sich erinnerte, wieviele kleine Hände die Stricke um seine Handgelenke gebunden hatten, wie sie versucht hatten, die ihnen unbekannten Schnüre, die sein Hemd am Hals zusammenhielten, zu lösen – ihr Unwissen und ai’Dailehs Ungeduld, der Name ai’Bre’hinnah, hinausgerufen in die Nacht wie eine Beschwörung. Es hatte nur eine Sekunde gefehlt – weniger – und sie hätten den say’yin gefunden. Wenn die Götter in dieser Situation irgendwie die Hand im Spiel gehabt hatten, dann in jenem Moment, als sie die Zeit stillstehen ließen, sodass viele Geheimnisse verborgen blieben und Kieran sein Leben zurückgewinnen konnte.
» Sen’en dayr «, sagte Kieran und verwendete einen Ausdruck, den er von ai’Tamar aufgeschnappt hatte.
Die Bedeutung hatte er richtig verstanden, aber die Worte waren aus dem Zusammenhang gerissen. Ai’Tamar lächelte – zuerst nachsichtig, dann dankbar.
»Ich danke dir«, sagte er. »Du weißt nicht, wieviel es mir bedeutet, das tun zu dürfen.«
»Oh, ich denke schon«, meinte Kieran, als sich al’Tamar mit dem say’yin in der Hand zum Gehen wandte. »Mehr als du weißt.«
Al’Tamar kniete sich neben Anghara und redete leise in seiner Sprache mit ihr. Kieran trank den letzten Schluck khaf aus dem Becher, stand auf und ging unbemerkt hinaus ins Mondlicht. Hätte jemand ihn gefragt, weshalb er in diesem Moment, der eigentlich der Moment seines Triumphes war, die Höhle verließ, wäre ihm eine Erklärung schwer gefallen – seine Gründe waren völlig
Weitere Kostenlose Bücher