Die Rueckkehr der Templer - Roman
blickte zu dem immer noch schluchzenden Kind. Khaled hingegen sah, wie das Blut aus dem abgeschlagenen Kopf auf den Boden tropfte. Vielleicht war dieser Mann der Vater des Kindes gewesen. Als Nizâri hatte man kein Mitleid mit seinen Feinden, aber |275| seit er Lyn und ihr Geheimnis kannte, hatte sich etwas in ihm geändert. Ihr Mitgefühl mit seinem eigenen Schicksal und die vielen Gespräche mit ihr über den Unsinn des Krieges und ihre Sehnsucht nach einer besseren Welt hatten ihn zum Nachdenken gebracht.
»Niemand rührt den Kleinen an«, wandte er sich unmissverständlich an seine Kameraden.
»Verlangst du etwa auch noch, dass wir ihm die Brust geben?« Azim grinste. »Ohne eine Amme muss er ohnehin bald sterben.«
Khaled schaute ihn wütend an. »Wir nehmen den Jungen mit und überlassen ihn der nächstbesten Frau, die für ihn sorgen kann.« Er hob das Kind aus der Wiege und drückte es mit einer solchen Zärtlichkeit gegen seine breite Brust, dass es sofort aufhörte zu weinen.
»… und töten beide …« Azim warf ihm einen finsteren Blick zu.
»Red keinen Unsinn. So lange, bis wir jemanden gefunden haben, spielst du die Amme«, bestimmte Khaled ungerührt. Mit diesen Worten reichte er den kleinen Damaszener, der nichts als eine Windel trug, an seinen verdutzten Adjutanten weiter.
»Er stinkt.« Azim hielt den Säugling demonstrativ auf Abstand.
»Kinderscheiße bringt Glück«, erwiderte Mahmud mit einem Grinsen.
»Von Hunden habe ich so was gehört«, erklärte der dürre Djamal, der zu Khaleds besten Kämpfern zählte. »Aber von Kindern …«
»Schaut mal, was ich hier gefunden hab«, rief Ahmed, der die Treppe heraufgestampft kam, eine zierliche, unverschleierte Frau am Arm gefasst, der er einen Dolch an die Kehle hielt.
Die Frau war beinahe ohnmächtig vor Angst. Khaled sah sofort, dass ihre panisch geweiteten Augen auf das Kind starrten, das Azim weit von sich gestreckt in den Händen hielt – und dass ihr Gewand an den Brüsten von Milch durchnässt war, die durch das dünne Leinen sickerte. Sie musste also die Mutter oder zumindest die Amme sein.
»Gehört das Bürschchen zu dir?« Khaled sah sie auffordernd an.
Wegen des Dolches an ihrer Kehle getraute sie sich kaum zu nicken.
»Gib ihr das Kind!«, befahl er Azim.
Die Frau schluchzte vor Freude, als sie den Säugling wieder in ihren Armen hielt. Aber ihr Blick war immer noch ängstlich, und erst als sich Khaled ein Lächeln abrang und ihr zunickte, öffnete sie ihr Gewand und gab dem schreienden Jungen die Brust, um ihn zu beruhigen.
|276| Für einen Moment waren die Männer von dem Anblick ganz gefangen, wie das mollige Kerlchen schmatzend an der langgezogenen Zitze nuckelte und alles Elend um sich herum zu vergessen schien.
»Sie wird uns verraten«, zischte Djamal und holte Khaled in die Realität zurück. Was das bedeutete, war allen klar. Djamal hatte recht, wenn ihre Feinde nicht auf sie aufmerksam werden sollten, musste man die Frau und das Kind zum Schweigen bringen. Doch was Khaled bei dem Kind schon nicht möglich gewesen war, erschien ihm bei der Frau noch unmöglicher. Sie ähnelte Lyn, obwohl sie viel kleiner war. Ohne Zweifel war sie mongolischer Abstammung, wahrscheinlich eine Sklavin, die ihrem Herrn einen Bastard geboren hatte.
»Hört ihr das auch?«, fragte Mahmud und lenkte die Aufmerksamkeit aller ins Treppenhaus.
Von draußen war ein lautes Knistern zu hören. Wenig später quoll Rauch die Treppe empor.
»Jemand hat das Haus angezündet«, stellte Azim ungerührt fest.
»Gibt es einen Hinterausgang?« Khaled warf Ahmed, der zuvor im Untergeschoss Wache gestanden hatte, einen suchenden Blick zu.
»Ja, aber das Haus scheint umstellt zu sein.«
»Wir verschwinden über das Dach«, bestimmte Khaled.
»Und was ist mit denen?« Azim sah zu der Frau und dem Kind hinüber.
»Wir lassen sie gehen.«
»Aber sie wird uns ihre Brüder hinterherschicken.«
»Das spielt jetzt sowieso keine Rolle mehr«, bemerkte Khaled tonlos. »Wenn das Haus brennt, denkt Balduin, das wäre das Zeichen. Wir müssen unverzüglich einen Boten entsenden, der ihm meldet, dass er und seine Ritter sich einen anderen Weg zur Stadt suchen müssen.«
Während seine Männer die Leiter zum Dach hinaufkletterten, wandte sich Khaled an die Frau.
»Du wirst uns nicht verraten, nicht wahr?«
Sie nickte hastig und schaute zu Boden.
»Allah, er ist groß und erhaben, schütze dich und dein Kind«, sagte er leise und hob ihr Kinn, um ihr
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