Die Rückkehr des Sherlock Holmes
Nachforschungen auf. Ich für meinen Teil war den Methoden, mit denen er den diversen Windungen dieses komplexen Falles nachgespürt hatte, Schritt für Schritt gefolgt, und ob ich gleich das Ziel, das wir erreichen würden, noch nicht klar vor mir sah, war mir doch deutlich bewußt, daß Holmes erwartete, jener groteske Kriminelle werde einen Angriff auf die beiden noch übrigen Büsten unternehmen, von denen eine, wie ich mich erinnerte, sich in Chiswick befand. Das Ziel unseres Ausflugs war zweifellos, ihn auf frischer Tat zu ertappen, und ich konnte die Gerissenheit nur bewundern, mit der mein Freund in der Abendzeitung eine falsche Fährte gelegt hatte, um so den Burschen zu der Idee zu verführen, er könne seine Machenschaften weiterhin ungestraft verfolgen. Holmes’ Vorschlag, ich solle meinen Revolver mitnehmen, überraschte mich nicht. Er selbst hatte seine Lieblingswaffe, die Jagdpeitsche mit beschwertem Griff, bereitgelegt.
Um elf Uhr fuhr unten eine Droschke vor, und damit fuhren wir zu einer Stelle auf der anderen Seite der Hammersmith Bridge. Der Kutscher sollte hier auf uns warten. Ein kurzer Gang brachte uns zu einer abgelegenen, von freundlichen Häusern gesäumten Straße, die alle von Gärten umgeben waren. Auf dem Torpfosten eines dieser Häuser lasen wir im Schein einer Straßenlaterne ›Laburnum Villa‹. Die Bewohner hatten sich offenbar bereits zur Ruhe gelegt, denn es war alles dunkel bis auf ein kleines Fenster über der Eingangstür, das einen unscharfen Lichtkreis auf den Gartenweg warf. Der Holzzaun, der das Grundstück von der Straße trennte, warf einen finsteren Schatten nach innen, in welchem wir uns niederkauerten.
»Ich fürchte, Sie werden lange warten müssen«, flüsterte Holmes. »Wir dürfen unserem Schicksal danken, daß es nicht regnet. Wir können es wohl nicht einmal wagen, uns mit Rauchen die Zeit zu vertreiben. Aber immerhin steht unsere Chance zwei zu eins, daß wir für unsere Mühe entschädigt werden.«
Es stellte sich jedoch heraus, daß unsere Nachtwache nicht so lange dauern sollte, wie Holmes uns hatte befürchten lassen; sie endete auf recht jähe und merkwürdige Art. Plötzlich wurde, ohne daß uns auch nur das leiseste Geräusch vor seinem Kommen gewarnt hätte, das Gartentor aufgestoßen, und eine geschmeidige, dunkle Gestalt huschte flink und beweglich wie ein Affe über den Gartenweg. Wir sahen sie über den von dem Fenster über der Tür geworfenen Lichtfleck flitzen und im schwarzen Schatten des Hauses verschwinden. Es entstand eine lange Pause, in der wir den Atem anhielten, und dann drang uns ein ganz leises knarrendes Geräusch an die Ohren. Das Fenster wurde geöffnet. Das Geräusch erstarb, und wieder herrschte lange Zeit Stille. Der Kerl stieg ins Haus ein. Einmal sahen wir in dem Zimmer eine Blendlaterne aufblitzen. Was er suchte, war offenbar nicht da, denn bald sahen wir das Licht hinter einer anderen Markise, und dann wieder hinter einer anderen.
»Gehen wir zu dem offenen Fenster. Wir werden ihn schnappen, wenn er herausklettert«, wisperte Lestrade.
Doch ehe wir uns regen konnten, war der Mann wieder aufgetaucht. Als er herauskam und in den schimmernden Lichtfleck trat, sahen wir, daß er etwas Weißes unter dem Arm trug. Er blickte sich verstohlen um. Die Stille der verlassenen Straße machte ihn wieder sicher. Er drehte uns den Rücken zu, legte seine Last ab, und im nächsten Augenblick hörten wir ein scharfes Klopfen, danach ein Scheppern und Klappern. Der Mann konzentrierte sich so auf das, was er tat, daß er unsere Schritte nicht hörte, als wir uns über den Rasen zu ihm schlichen. Wie ein Tiger sprang Holmes ihm auf den Rücken, und gleich darauf hielten Lestrade und ich ihn an den Handgelenken fest und legten ihm Handschellen an. Als wir ihn umdrehten, blickte ich in ein scheußliches, fahles Gesicht, das uns mit wild verzerrten Zügen anstarrte, und ich wußte, daß wir tatsächlich den auf der Photographie abgebildeten Mann gestellt hatten.
Holmes aber widmete seine Aufmerksamkeit nicht unserem Gefangenen. Er hockte auf den Türstufen und untersuchte aufs sorgfältigste, was dieser Mann aus dem Haus geholt hatte. Es war eine Napoleonbüste wie die, die wir am Morgen gesehen hatten, und sie war auch in ähnliche Fragmente zerbrochen. Bedächtig hielt Holmes jede einzelne Scherbe ins Licht, doch sie unterschieden sich in keiner Weise von irgendeinem anderen kaputten Stück Gips. Er hatte seine Untersuchung gerade beendet,
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