Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)
durchsetzt von Liebe und Furcht. Ein Teil von Sorcha sehnte sich danach, diese liebende Verbindung zu Verwandten zu haben, und war eifersüchtig auf ihn.
Zwar hatte Sorcha ihre Mutter nie gekannt, die Jugendpresbyterin aber von Herzen geliebt. Jetzt war Merrick ihr Partner, und seine Familie war ihre Familie. »Wo hat man sie zuletzt gesehen, diese …«
»Japhne«, unterbrach Onika sie. »Sie heißt Japhne, und sie war in ihrem Bett. Das Baby hatte sie ermüdet, daher hat sie sich früh heute Nachmittag in ihr Zimmer zurückgezogen. Das war, bevor Hatipais Wahnsinn in den Palast eingedrungen ist.«
»Vielleicht versteckt sie sich einfach vor den Randalierern?« Sorcha warf Merrick einen Blick zu.
Er öffnete sein Zentrum und dehnte es weiter aus, als sie es ihn jemals hatte tun spüren – die Anstrengung lief wie eine Vibration durch seinen Körper und summte in der Verbindung.
»Nichts«, stieß er hervor und griff nach dem Riemen. Nur die beiden letzten Runen der Sicht erforderten den Riemen, und ihr war klar, dass er Mennyt, die sechste Rune, benutzen wollte. Ohne sein Tun zu hinterfragen, zog sie ihre Handschuhe aus dem Gürtel und streifte sich ihr tröstendes Gewicht über die Finger.
Mennyt bedeutete, in die Anderwelt zu schauen, und manchmal konnte die Anderwelt zurückschauen. Sie würde ihren Sensiblen beschützen. »Tretet bitte zurück, Hoheit.« Der Perlenvorhang schwang vor Onika, doch er ging mehrere Schritte rückwärts, bis er an der Wand des Audienzsaals stand.
Merrick band sich das breite Leder um den Kopf und verbarg seine braunen Augen hinter den Runen der Sicht, die in den Riemen geschnitten waren. Dann schob er die runde Obsidianscheibe, die sein persönliches Siegel trug, auf die Messinglasche zwischen seinen Brauen. Sorcha war sich nicht sicher, ob das Dritte Auge, das sie bedecken sollte, nicht einfach ein seltsamer Sensiblenmythos war, aber sie wusste, dass es ernst war, wenn es ins Spiel kam.
In der Verbindung wurde alles still, als Merricks Konzentration eine messerscharfe Intensität annahm, und seine Partnerin wurde einmal mehr daran erinnert, wie mächtig der junge Diakon war. Der hellste Stern des Noviziats. Obwohl ihre Partnerschaft einen schwierigen Start gehabt hatte, war sie stolz auf Merrick und auf die Stärke dessen, was sie zusammen hatten.
Trotzdem, den Blick in die Anderwelt durfte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Vorsicht, Merrick, schaut nicht zu tief hinein
.
Das Bild seiner Mutter, jung, schön und lachend, wie sie sich vorbeugte, um ihm einen Kuss auf den Kopf zu geben, blitzte mit einer mächtigen Gefühlsaufwallung durch die Verbindung.
Ich muss wissen, ob sie dort ist.
Merrick öffnete seine Sicht der Anderwelt. Die Winde tobten, und Sorcha schluckte Panik herunter. Die Aussicht auf den Palast war anders, wenn man sie durch Mennyt sah; es war ein wilder Ort aus dunklen Schatten und flüsternden Stimmen ungesehener Gestalten.
Jedes Gebäude, das jemals Menschen beherbergt hatte, trug einen Nachhall von ihnen, wenn sie fort waren, aber an Orten wie Palästen, wo große und schreckliche Ereignisse stattfanden, konnte ein Geist eine menschliche Seele wegreißen und die zerstörten Überreste zurücklassen, sodass sie ziellos umherwanderten. Die Ermordeten waren besonders leichte Beute für die Unlebenden – und das war es, wonach Merrick Ausschau hielt.
Nun breitete sich seine Sicht durch den Palast aus, auf der Suche nach einer vertrauten Gestalt und doch voller Angst, sie zu finden. Einzelne Überlebende hielten sich in fernen Räumen auf, und einige gebrochene, ihres Körpers beraubte Seelen schwebten noch immer durch die Flure.
Doch Merrick schaute sich weiter um und ging tiefer. Die Schatten wurden dunkler, und der Abstand zwischen der menschlichen Welt und der Anderwelt wurde schmaler, als riebe jemand mit einem Tuch ein Bild ab. Jetzt hielt er darauf zu, bis sein Blut nach ihrem Blut rief. Tief in den Tunneln riefen einige kleine Tropfen nach ihm.
Merrick – das reicht!
Sorcha streckte sich durch die Verbindung nach ihm aus. Sie wusste, was es bedeutete, zu weit zu gehen, da sie es vor den Palasttoren in Vermillion selbst getan hatte.
Endlich hörte ihr Partner sie und zog sich zurück. Ein tiefer Blick konnte die Aufmerksamkeit von Dingen erregen, die man am besten schlafen ließ. Mit zitternden Händen schob Merrick das Siegel zurück und nahm den Ledergürtel vom Kopf.
»Sie ist nicht tot.« Er wandte sich an den Prinzen von
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