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Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)

Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition)

Titel: Die Runen der Macht - Göttliche Rache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Ballantine
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den Anlegestellen zustrebten. Hafenbeamte und Kaiarbeiter versuchten, eine Menschentraube zu beruhigen, die sich an einem kleinen Zweimaster gesammelt hatte. Raed und Tangyre drängten sich durch die dichte Menge. Dort auf dem Pier saß eine Frau und schrie. In ihren rot bespritzten Armen hielt sie die bleiche, schlaffe Gestalt einer zweiten, blutüberströmten Frau; Blut bedeckte ihre Arme, tränkte ihr Kleid und sickerte aus dem eigenartigen Bündel, das sie an sich gedrückt hielt. Raeds geübtes Auge bemerkte, dass ein großer Teil des Bluts geronnen und fast trocken war. Es sah aus, als hätte sie schon einige Zeit darin gelegen.
    »Schwester«, schluchzte die erste Frau und wiegte die nahezu Bewusstlose, »gib ihn mir.«
    Das führte nur dazu, dass die zweite Frau das Ding in ihren Armen noch fester umklammerte. Es ähnelte mehr den Resten aus einer Metzgerei als etwas Menschlichem. Dem Jungen Prätendenten drehte sich der Magen um. Gehäutete Finger ragten aus dem Bündel. Das war einmal ein Mensch gewesen.
    Ein Flüstern lief durch die Menge, dann schnappten die Umstehenden nach Luft.
    »Sie hat sie genommen! Sie hat sie genommen!« Die blutbespritzte Frau fing an zu schreien. »Alle sind tot … alle tot!« Sie wies mit den Händen auf das Boot, das zwischen den Handelsschiffen festgemacht hatte, begann zu heulen wie ein Tier in der Falle und schlug in den Armen ihrer Schwester wild um sich, ihre Lippen ein Rund der Qual.
    Raed und die übrige Menge wanden sich innerlich, als sie immer weiter schrie. Es dauerte eine Weile, bis Worte verständlich wurden. »Hatipai! Hatipai!«
    Das sagte ihm etwas – als Kind hatte er die Namen der kleinen Götter auswendig lernen müssen. Sie musste also wahnsinnig sein. Er beobachtete so entsetzt wie der Rest der Menge, wie sie das Bündel nackten Fleisches in den Armen wiegte.
    Zwei mutige Seelen, ihrem Wuchs und ihrer Kleidung nach Hafenarbeiter, gingen an Bord des Schiffes. Als sie blass, taumelnd und würgend wieder auftauchten, wusste Raed, dass es schrecklich sein musste; Schauerleute waren nicht für ihr zartes Gemüt bekannt. »Holt den Sheriff«, stöhnte einer. »Da drin ist ein Blutbad!«
    »Nicht den Sheriff – die Diakone!«, brüllte ein anderer. »Holt die Diakone!«
    Dann schwang die Stimmung der Menge in Panik um, doch Raed dachte an das letzte Blutbad, das er auf einem Schiff gesehen hatte: auf einem Kaiserlichen Kriegsschiff voller Leichen. Ein Seitenblick verriet ihm, dass Tangyre das Gleiche dachte.
    »Es ist nicht der Rossin«, flüsterte Kapitänin Greene leise. »Die Frau ist wahnsinnig geworden und hat ihre Familie getötet.« Das klang einleuchtend, doch etwas in den gehetzten Augen der Frau sagte Raed, dass sie zu viel gesehen hatte. Sie brachten sie weg, obwohl kein Arbeiter sie dazu bringen konnte, ihre schauerliche Last herzugeben. Ihre Schwester sah in reinem Entsetzen auf ihre besudelte Schürze und ihre blutigen Hände, als wüsste sie nicht, ob sie zu einer Wäscherei gehen oder auf dem Pier zusammenbrechen sollte.
    Raed trat vor, fasste sie unter und führte sie ein Stück beiseite, wo sie nicht im Weg war. Die Leute hatten es so eilig, der irren Frau zu folgen oder sich so dicht wie möglich an den Schauplatz des Verbrechens zu drängen, dass sie niedergetrampelt zu werden drohte.
    Sie schien kurz davor, einzuknicken, daher setzte Raed sie auf eine große Kiste und reichte ihr sein Taschentuch. Für einen Augenblick betrachtete sie das saubere Stück Seide.
    »Das ist zu gut, um es mit Blut zu beschmieren«, flüsterte sie.
    »Unsinn.« Raed hatte wegen der Frage, die er ihr stellen wollte, ohnehin ein so schlechtes Gewissen, dass der Verlust eines seiner wenigen verbliebenen feinen Stücke bedeutungslos war. »Es tut mir leid, dass ich Euch dies fragen muss, meine Dame. Aber … ging es Eurer Schwester gut, bevor das passiert ist? Gab es in ihrer Familie häufig Streit?«
    Sie schaute mit verzerrter Miene zu ihm auf, während ihre Finger immer noch das Taschentuch verdrehten. »Nein, nie! Joi ist eine gute Frau. Sie hat Yorse und die Jungen geliebt. Sie haben einander so geliebt …« Ein neuer Weinkrampf überkam sie.
    Tangyre fasste ihn am Ellbogen und zog ihn weg. »Wir müssen zurück ins Zollhaus.« Sie beugte sich vor und flüsterte: »Vor allem, wenn Diakone im Anmarsch sind.«
    Raed nickte und ließ sich von der schluchzenden Frau wegführen. Die übernatürliche Flut aus der Anderwelt war zwar fast gänzlich verebbt, aber er

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