Die Saga von Thale 03 - Die Hüterin des Elfenfeuers
bevorstehenden Angriff. Dank der Magie glaubten die meisten von ihnen noch immer fest daran, den Feind abwehren zu können, doch Anthork wusste, dass dies nur ein Trugbild war. Tief im Innern schämte er sich dafür, den Kriegern die Wahrheit zu verschweigen und sie unter falschen Voraussetzungen in den Kampf zu schicken, doch Furcht war im Kampf ein schlechter Gefährte, und im Mut jedes Einzelnen lag die letzte Hoffnung für das Land. Wenn jeder unerschütterlich auf dem Posten blieb und sich den Willen zum Sieg bewahrte, erhielten sie sich zumindest den Anschein von Zuversicht, welche die Menschen in Nimrod dringend benötigten. Betrübt schüttelte Anthork den Kopf. Der Spähtrupp, den er ausgesandt hatte, um den geheimen Fluchtweg aus der Festungsstadt von den Valdor-Bergen aus zu erkunden, hatte seine Aufgabe nie erfüllen können. Die Krieger waren tot, und es blieb keine Zeit, einen weiteren Erkundungstrupp auszusenden. Damit war der Plan gescheitert, die Menschen auf jenem geheimen Pfad, von dem die alten Aufzeichnungen berichteten, durch das Gebirgs-massiv in Sicherheit zu bringen. Nimrod war zu dem geworden, was böse Zungen längst behaupteten - eine Falle, aus der es kein Entrinnen gab.
Ein letztes Mal hatte Anthork in der vergangenen Nacht alle Keller, Gewölbe und Gänge unter der Festungsstadt auf eine verborgene Tür oder einen magisch verschlossenen Durchgang absuchen lassen - vergeblich. Nirgends hatte sich ein Hinweis auf den Fluchtweg gefunden, und alle Hoffnungen, zumindest den Frauen und Kindern ein winziges Schlupfloch aus Nimrod bieten zu können, falls die Mauern fielen, waren damit zerstört worden.
Nicht zuletzt deshalb hatte Anthork noch in der Nacht den magischen Bann, der alle Zweifel und Befürchtungen unterdrückte, auf ganz Nimrod ausgedehnt. Wohl wissend, dass er damit Kräfte nutzte, die er später im Kampf noch dringend benötigen würde, hatte er gewaltige Energien heraufbeschworen, um den Kampfesmut der Krieger zu stärken, denn er wusste, dass die mächtigste Waffe der Verteidiger in der Entschlossenheit lag.
Anthork nickte und seufzte leise. Er hatte richtig gehandelt, selbst wenn der Zauber ihn geschwächt hatte. Auch weiße Magie hatte ihren Preis. Doch das war es nicht, was ihm das Herz schwer machte. Ihn plagte etwas anderes.
Am frühen Morgen hatte er zum zweiten Mal das Heiligtum der Gütigen Göttin aufgesucht, um zu beten und die Göttin um Beistand für die Krieger zu bitten.
Wie er es schon Dutzende Male getan hatte, wenn der Regen ausblieb oder die Ernte schlecht ausfiel, hatte er sich mittels Meditation in eine tiefe Versenkung begeben und auf ein Zeichen gewartet. Ein Zeichen, das den bedrängten Menschen Hoffnung geben konnte oder ihnen gar offenbarte, dass die Gütige Göttin ihnen helfen würde - doch was er auch getan hatte, die Göttin war stumm geblieben.
Keine Vision, keine Eingebung, nicht einmal ein Bild, das die Gelehrten hätten deuten können, war ihm während der langen Zeit zuteil geworden - nichts! Alles, was er gespürt hatte, war ein beängstigendes Gefühl der Leere gewesen, gerade so, als beträte er einen verlassenen Raum. Anthork erschauerte. Konnte das wirklich sein? Hatte die Göttin ihr Volk verlassen? Hatte sie, die die Geschicke des Landes seit Menschengedenken lenkte, das Land angesichts der übermächtigen Bedrohung einfach im Stich gelassen? Aber warum? Hatten sie die Göttin womöglich verärgert, ohne es zu ahnen?
Fragen über Fragen, auf die Anthork keine Antwort wusste. Fragen, die er mit niemandem, auch nicht mit den anderen Druiden, teilen durfte. Der Glaube an den Sieg, an die Unbezwingbarkeit der Mauern und in die eigenen Kräfte war alles, was die Menschen hatten. Wer zweifelte, war schwach, und Schwäche machte verletzlich. Zweifel waren wie ein schleichendes Gift, das die Moral der Krieger untergrub und es den Angreifern leicht machen würde zu siegen.
Der oberste Druide ballte entschlossen die Fäuste. Bisher war er der Einzige, der das Schweigen der Göttin bemerkt hatte - und er würde es für sich behalten, solange dies möglich war. Doch Anthork zweifelte nicht nur. Wie nie zuvor fühlte er sich im Stich gelassen, allein und hilflos wie ein Kind, dem die Mutter die helfende Hand verwehrte. Er hatte gebetet, gefleht und der Göttin Opfergaben dargebracht - vergeblich! Die Göttin war fort, und er wusste nicht, ob sie jemals wieder zu ihm sprechen würde.
Langsam durchschritt er das Tor zur Inneren Festung und
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