Die Samenhändlerin (German Edition)
schlief.
Sie trug ein weißes Nachthemd, das um den Hals herum ein feines Muster aus Löchern aufwies. Fast faltenlos umhüllte es ihren Körper. In der Hitze der Nacht hatte sich ein Großteil ihrer Haare aus dem straffen Zopf gelöst, den Seraphine am Vorabend geflochten hatte. Wie ein Heiligenschein umrahmten die feinen Härchen ihr weißes Gesicht. Keine Wimper blinzelte, keine Regung zuckte über ihre Wangen, nicht einmal ihre Nasenflügel hoben sich, so flach atmete sie im Schlaf.
Sie liegt da wie eine Leiche!, fuhr es Valentin durch den Kopf. Diese makellose Schönheit, diese Kühle …
Er konnte dem Impuls nicht widerstehen, ihr ein paar Haare aus dem Gesicht zu streichen. Seraphine war so viel feiner als alle anderen Menschen, die er kannte! So viel empfindlicher.
Und ausgerechnet dieses schöne, zarte Wesen sollte zusammen mit Hannah ins Elsass reisen, um Samen zu verkaufen? Was hatte Mutter sich nur dabei gedacht, Hannahs Vorschlag zu unterstützen? »Die beiden Mädchen sind jede auf ihre Art liebenswert, aber hier zu Hause sind sie zwei arge Streithennen«, hatte Mutter ihm geantwortet, als er ihr seine Zweifel bezüglich Seraphines Tauglichkeit für diese Aufgabe vortrug. »Du weißt doch selbst, wie es auf der Reise ist: Da muss man sich zusammenraufen! Das tut den beiden gut, vielleicht herrscht danach ein wenig mehr Frieden im Haus … Und eine Hilfe ist es obendrein!« Beschämt hatte er zur Seite geschaut – so weit war es schon gekommen, dass die Frauen helfen mussten, ihre Dummheit wieder gutzumachen.
Jetzt sah Valentin auf seine Finger hinab, die gerade noch diesilbrige Strähne berührt hatten. Wie grobschlächtig seine Hand war, wie rau.
Urplötzlich schlug Seraphine die Augen auf. »Was willst du?« Ihre Stimme klang glockenklar und kühl.
Valentin zuckte zusammen. Wie lange war sie schon wach? »Nichts. Ich …«
»Warum starrst du mich dann an, als wäre ich ein Mondkalb? Kann ich nicht einmal mehr in Ruhe schlafen? Musst du mich selbst im Schlaf mit deinen Blicken verfolgen?«
»Ich tu dir doch gar nichts!«, verteidigte sich Valentin. Hilflos suchte er nach Worten, mit denen er die Situation hätte entschärfen können. War es denn nicht völlig normal, dass ein Mann seine Frau in einem stillen Moment anschaute? Er seufzte.
»Ich habe heute Nacht schlecht geträumt, aber davon hast du natürlich nichts mitbekommen!«, zischte Seraphine. »Wenn ich nur daran denke, was du mir mit dieser Elsassreise eingebrockt hast, bekomme ich Alpträume.«
Als habe er in offenes Feuer gelangt, sprang Valentin vom Bett.
»Entschuldige, dass ich so dumm war, mich überfallen zu lassen!«, fuhr er sie an. »Ich bin halt nicht Manns genug, meiner Frau ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Aber eines solltest du wissen …« Er warf ihr einen lauernden Blick zu. »Eigentlich trägt mein großartiger Bruder die Schuld an dieser Sache! Hätte er nicht darauf bestanden, dass wir mit diesen Weibern durch die Lokale ziehen –«
Abrupt brach er ab. Was war nur in ihn gefahren? Sie hatten sich doch geschworen, Stillschweigen über die Sache zu bewahren!
»Wie … Welche Weiber?« Seraphine runzelte die Stirn.
»Das willst du nicht hören, was?« Er lachte bitter. »Am besten vergisst du, was ich gerade gesagt habe!«
Seine Beine waren schwer wie Blei, als er die Treppe zurKüche hinabstieg. Zusammen mit Hose und Hemd hatte sich Valentin in seinen alltäglichen Mantel aus Einsamkeit gehüllt.
Die Freude auf den Tag war verflogen. Stattdessen erfüllten ihn nun düstere Gedanken.
Was war nur mit diesem Weib los?
Nachts, da brachte sie ihn fast um mit ihrer Leidenschaft. Zeigte ihm Dinge, von denen er nicht einmal gewusst hatte, dass Liebende sie miteinander taten.
Nachts, da fühlte er sich geliebt. In diesen Stunden gehörten sie zusammen, enger und intensiver, als er es sich je erträumt hätte. Dann war seine Einsamkeit fort, ausgelöscht durch eine Hitze, die alles Unselige verbrannte.
Doch tagsüber wollte Seraphine nichts von ihm wissen, behandelte ihn wie einen Fremden oder schlimmer noch: wie Luft. Mehr als einmal hatte er sie gefragt, warum dies so war. Warum sie ihn nachts beinahe mit Haut und Haaren auffraß und tagsüber nicht einmal seine Hand nahm. Dann schaute sie ihn an, als wisse sie nicht, wovon er sprach.
Manchmal war sie regelrecht kalt und abweisend, sagte verletzende Dinge wie gerade eben. Die meiste Zeit jedoch lebte sie in ihrer eigenen Welt. Ihr Blick war oft
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