Die Samenhändlerin (German Edition)
alles? Was bedeutete es für sie?
Valentin war weg. Das war der Ausgangspunkt. Mit keinem Wort hatte er sie in seinem Abschiedsschreiben erwähnt.
Krampfhaft versuchte sie, Ordnung in das Durcheinander ihrer Gedanken zu bringen, als Gottlieb sie anfuhr: »Und du?Was ist mit dir? Wie kannst du dir das Verhalten deines Mannes erklären?«
»Genau! Du hast bisher noch keinen Ton gesagt«, pflichtete Helmut bei. Beide starrten sie feindselig an.
Seraphine zuckte mit den Schultern.
Hannah seufzte. »Nun komm schon, jetzt ist nicht der Zeitpunkt für Geheimnisse. Ich weiß doch, dass es irgendwelche Zwistigkeiten zwischen euch gab. Damals, in Haarlem, auf dem Jahrmarkt, wo ihr –«
»Jahrmarkt?«, kam es scharf von Gottlieb. »Wo habt ihr euch herumgetrieben? Hat das etwas mit der Sache zu tun? Ist Valentin dort womöglich in schlechte Gesellschaft geraten?«
Helmut schüttelte den Kopf. Er sah grau und erschöpft aus, seine Unterlippe zitterte, als würde er im nächsten Moment anfangen zu weinen. Unwirsch strich er sich mit der Hand ein paar zerzauste Strähnen aus der Stirn.
»Nach Amerika! Was will er denn dort? Gottlieb, sag!« Wilhelmine klammerte sich an ihren Mann, als habe sie Angst, ihn auch noch zu verlieren. In einer selten zärtlichen Geste tätschelte er ihre Hand.
»Wahrscheinlich will er zu Rudi Thumm, seinem alten Freund.«
»Zu Rudi? Aber …« Wilhelmine verstummte und schaute in die Runde. »Vielleicht will er ihm die Sämereien verkaufen und dann kommt er wieder.«
Rudi Thumm – Amerika – Gottlieb und Wilhelmine völlig aufgelöst – wilder und wilder drehte sich das Kaleidoskop, immer verschwommener wurden die Bruchstücke, irgendwo dazwischen tauchte immer wieder das gleiche Bild auf, glitzernde Bälle, die in der Luft herumwirbelten. Blinzelnd schaute sich Seraphine im Raum um. Keine Bälle, nirgendwo.
»Amerika«, sagte sie mehr zu sich selbst. »Davon hat er schon immer geträumt, glaube ich.« Hatte er je darüber gesprochen?Valentin. Der immer da war, der ihr lästig war, aber immer da. Die Bälle – waren sie ihr aus der Hand gefallen? Nein, dem Jongleur. Sie hatte Valentin angeschrien, der Abend war schrecklich gewesen, sie hatte ihn zurückgelassen in Holland, so, wie sie stets alle schrecklichen Erinnerungen zurückließ. Der Abend war weit weg, tat nur noch ein bisschen weh. Wie Valentin weit weg …
Helmut schnaubte. »Träume! Und dafür lässt er mich im Stich?«, sagte er bitter. »Wie kann er uns das antun?« Kopfschüttelnd schaute er seinen Vater an. »Kannst du mir mal sagen, wer mir jetzt bei der Apfelernte helfen soll? Und wer mit mir nach Böhmen reist?«
»Er kann noch nicht weit sein!«, sagte Hannah plötzlich. »Helmut, du musst ihm nachfahren! Ihn zurückholen!«
Helmut lachte rau. »Und wo soll ich nach ihm suchen? Wir haben doch überhaupt keinen Anhaltspunkt. Außerdem – hast du nicht gelesen, was er geschrieben hat? Er will nicht, dass ich ihm nachgehe! Er pfeift auf Böhmen, auf uns alle, wenn du’s genau wissen willst!« Seine Stimme war immer lauter geworden.
»Und wir pfeifen auf ihn!«, sagte Gottlieb hart. Abrupt ließ er Wilhelmines Hand los, seine Augen waren weit aufgerissen. »Wer sich davonschleicht wie ein Dieb, wer seine Familie im Stich lässt, wer seinen Bruder auf der Reise nach Böhmen allein lässt, ist für mich gestorben!«
Wilhelmine heulte erneut auf.
Böhmen? Ein kleines Glöckchen klingelte in Seraphines Ohren, sie wurde hellhörig.
»Böhmen …« Ein Murmeln nur.
»Böhmen.« Verheißungsvoll. Ihre Chance! Das, was alles in einem völlig neuen Licht erscheinen ließ. Hitze stieg in ihr auf, und gleichzeitig waren ihre Hände kalt. Unruhig knetete Seraphine sie im Schoß. »Böhmen«, sagte sie noch einmal.
Die anderen schauten sie an, als habe sie ihre Sinne nicht mehr beieinander. Seraphine holte Luft. Jetzt nur nichts falsch machen.
»Vielleicht … nun, ein wenig haben wir wohl doch gestritten«, sagte sie vorsichtig.
Sofort verschlossen sich die Gesichter.
»Ich … ich weiß es nicht so genau! Bei Valentin muss man jedes Wort auf die Goldwaage legen. Aber wenn ich Schuld habe an seinem Fortgehen, werde ich das wieder gutmachen. Alles mache ich wieder gut, alles!« Sie beschloss, Gottliebs Stirnrunzeln und Wilhelmines gekräuselte Lippen zu ignorieren.
Hannah öffnete den Mund, den ein spöttisches Lächeln umspielte, Seraphine konnte nicht zulassen, dass sie das Wort ergriff! Doch während sie
Weitere Kostenlose Bücher