Die Samenhändlerin (German Edition)
einen schönen Ausklang geben. Ein Gefühl der Mutlosigkeit überfiel ihn, und sein Griff wurde schlaff.
Sofort entwand sich Seraphine seiner Umklammerung. Wie eine Katze, die an ihrem Schlafplatz gestört wurde, sprang sie ihn an, packte ihn am Kopf, ihre Finger gruben sich in seinHaar, zogen ihn näher, bis sein Gesicht nur noch eine Handbreit von ihrem entfernt war.
»Dein Kind ist tot! Ich habe es umgebracht, damals, im letzten Sommer. Weil ich es nicht wollte!« Die Stimme war schrill, mit jedem Wort schriller, bis zum Überkippen. »Du erinnerst dich doch noch an das viele Blut? An die ach so schwache Seraphine … Ha, so schwach war ich gar nicht! Das hätte nicht jede geschafft, lass dir das sagen!«
Valentin sackte in sich zusammen.
Sie holte Luft. »Jetzt weißt du’s! Bist du nun zufrieden, ja? Kannst du mich jetzt endlich in Ruhe lassen? Du bist nicht Helmut! Nicht Helmut, verstehst du? Nie, niemals. Und dein ›Seraphine‹ – ich kann’s nicht mehr hören. Ich kann’s nicht mehr hören!«
Sie sprang auf, rannte davon, ein Geräusch von sich gebend ähnlich dem eines angeschossenen Tiers.
Das Geräusch erreichte ihn nicht.
Erreichte nicht seinen Kopf, in dem sich alle Gedanken auflösten.
Erreichte nicht seinen Bauch, in dem Schmerz und Fassungslosigkeit tobten wie böse Geister.
Erreichte nicht sein Herz, das herausgerissen worden war, in die Luft gewirbelt, zerfetzt, in tausend Stücke …
Sein Herz.
Das, was ihn ausmachte. Sein Leben.
Er wollte es festhalten, aber es flog davon, weg von dem Ort, wo alles nur noch kalt war und einsam und schwarz. Alle Hände der Welt hätten nicht ausgereicht, das Loch zu stopfen, das an seiner Stelle klaffte.
Und es breitete sich eine tiefe Traurigkeit in ihm aus, wie er noch keine gekannt hatte.
»Womit darf ich Ihnen das Leben versüßen, mein Herr? Möchten Sie gebrannte Mandeln, allerfeinsten Lakritz odercremige Karamellen?« Verführerisch schwenkte das junge Mädchen seinen Bauchwarenladen vor Valentin hin und her. Als sie seinen leeren Blick sah, wich sie einen Schritt zurück, ließ sich davon jedoch noch nicht endgültig einschüchtern.
»Ich habe auch Zuckerstangen«, machte sie einen zaghaften weiteren Versuch.
Er schaute sie an wie ein Wesen von einem anderen Stern.
49
Von diesem Tag an verstummte Valentin. Es war nicht so, dass er nichts mehr redete. Es war auch nicht so, dass er sich um nichts mehr kümmerte. Im Gegenteil, wie auf der Hinreise teilte er sich auch auf dem Heimweg mit Helmut die Aufgaben, die eine Reise mit sich brachte. Er verhandelte mit Fuhrleuten über den Preis einer Mitfahrgelegenheit, er hielt Ausschau nach einem Unterschlupf, wenn es regnete, er trug das Gepäck der Frauen, wenn es ihnen zu schwer wurde.
Aber er lachte nicht mehr. Seine Augen waren unbewohnt wie ein leer gefischter See. Wenn er jemanden anschaute, verlor sich sein Blick in der Ferne, wo es nichts und niemanden zu sehen gab.
Mit Seraphine sprach er kein Wort.
»Findest du nicht, dass Valentin irgendwie seltsam ist?«, wollte Hannah von Helmut wissen. Doch dieser konnte am Verhalten seines Bruders nichts Auffälliges feststellen.
»Er ist in Gedanken wahrscheinlich schon weit weg«, antwortete er schulterzuckend. »Immerhin heißt es für uns beide in ein paar Wochen schon wieder, von Gönningen Abschied zu nehmen!«
Dass die Herbstreise der Brüder der Grund für ValentinsVerschlossenheit sein sollte, mochte Hannah nicht glauben. Es war doch nicht das erste Mal, dass die Männer nach Böhmen aufbrachen!
»Wahrscheinlich haben er und Seraphine wieder einmal Streit«, lautete Helmuts Antwort auf ihren Einwand. Und er fügte hinzu: »Misch dich nicht ein. Wenn es Zwist gibt, müssen die beiden das miteinander ausmachen!«
Hannah beugte sich Helmuts Wunsch. Wahrscheinlich hätte Seraphine ihr auf eine neugierige Frage höchstens eine schnippische Antwort gegeben, sagte sie sich. Und eigentlich hatte Helmut ja Recht: Was zwischen den beiden passierte, ging sie wirklich nichts an. Hatte sie sich nicht auch immer darüber aufgeregt, dass Seraphine sich ständig in ihre Ehe einmischte?
Trotzdem wurde sie ihre Sorge um Valentin nicht los. Auch wenn Helmut zehn Mal etwas anderes behauptete, sie spürte, dass den Schwager weitaus Schlimmeres bedrückte als ein harmloser Ehestreit. Immer wieder musste sie an das vertraute Gespräch denken, das sie mit ihm in Reutlingen geführt hatte. Oder besser gesagt: er mit ihr. Wie einfühlsam er da gewesen
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