Die Samenhändlerin (German Edition)
Blicke, kleine Anzüglichkeiten, die über den Tisch flogen. Ein wenig Musik, das Lachen, fröhliches Feiern – das Leben konnte so schön sein! Natürlich hätte sie Helmut auch in Nürnberg vermisst, aber doch nicht Tag und Nacht, Minute für Minute!
Hannah seufzte abgrundtief. Warum konnte sie sich nichtselbst genügen? Warum verlangte sie immer noch mehr vom Leben? Hatte sie nicht längst bekommen, was ihr zustand?
Sie blieb stehen und schaute zu, wie sich ihr Seufzer in einer kleinen Atemwolke auflöste. Wenn sich doch nur alle Sorgen so auflösen würden!
Plötzlich stand Hannah vor dem Gasthaus »Sonne«. Sie musste darauf zugesteuert sein, ohne es zu merken. Sie zögerte noch einzutreten, als die Tür bereits aufgerissen wurde.
»Hannah! Wie schön! Und die kleine Flora ist auch dabei …«
Ehe Hannah etwas sagen konnte, langte Emma in den Kinderwagen, hob Flora heraus und verschwand mit ihr ins Haus. Lachend folgte Hannah ihr.
»Morgen ist es wieder mal so weit – so spät wie dieses Jahr waren wir noch nie dran!«, sagte Emma, als sie es sich in der Wirtsstube bequem gemacht hatten, und deutete dabei auf ein Bündel Gepäck. »Aber jetzt heißt es auf nach Hohenlohe!«
Hannah seufzte. »Nun geht ihr auch noch fort! Wie soll ich Gönningen ohne euch ertragen?«
Emma lächelte verständnisvoll. »Wie schnell ein Jahr vergeht! Mir kommt es vor, als wäre es gestern gewesen, dass wir hier zusammensaßen und dir von unseren Reisegepflogenheiten erzählten!«
»Und jetzt sitze ich wieder hier!« Hannah konnte die Bitterkeit nicht aus ihrer Stimme verdrängen, dabei hatte sie sich fest vorgenommen, sich nichts von ihrer Stimmung anmerken zu lassen.
»Die Zeit bleibt nicht stehen.« Emma legte Hannah eine Hand auf den Arm. »Bis zu Floras Geburtstag sind wir längst wieder zurück. Weißt du was? Wir feiern Floras ersten Geburtstag hier in der Wirtsstube! Ich lade dich und die Kerners ein! Wir trinken Kaffee und essen Hefezopf und erzählen uns ganz viel – na, ist das was?«
Hannah nickte lustlos. Normalerweise hätte Emmas Angebot sie gefreut, aber heute …
Emma verzog den Mund. »Jetzt guck doch nicht so griesgrämig! Sag, gibt’s etwas Neues von Helmut und Valentin?« Sie schob Hannah einen Teller mit trockenem Hefezopf zu, doch diese lehnte das Angebot kopfschüttelnd ab.
Leise erzählte sie von den beiden Briefen, die am Morgen angekommen waren.
»Seraphine hat Valentins Brief nicht einmal geöffnet, kannst du dir das vorstellen?«
»Sie ist schon ein komisches Mädchen«, stimmte Emma zu. »Aber dir wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als deine Schwägerin so zu nehmen, wie sie ist.«
»Schwägerin!« Hannah schnaubte. »So, wie sie sich aufführt, könnte man meinen, sie wäre diejenige, die auf Helmut wartet! Ständig redet sie von ihm, gerade so, als wäre er ihr Mann! Aber ich kann ihr doch nicht den Mund verbieten, auch wenn ich das am liebsten täte!« Sie ließ die Faust auf die Tischplatte knallen, und Emma runzelte die Stirn. Hannah lehnte sich zu ihr hinüber. »Stell dir vor, erst gestern habe ich sie dabei erwischt, wie sie in unserem Kleiderschrank herumgewühlt hat! Behauptete, sie wolle Helmuts Kittel durchgehen und nachschauen, welche davon geflickt werden müssen!«
Emma lachte. »Und dagegen hast du etwas einzuwenden? Dann schick die brave Seraphine einfach hierher, bestimmt finde ich auch noch etwas Flickwerk!«
»Du verstehst das nicht«, antwortete Hannah unwirsch. »Wenn Helmuts Sachen geflickt werden müssen, dann ist das meine Aufgabe, auch wenn die Nähte nach dem ersten Tragen wieder aufgehen.« Sie sah zerknirscht drein, doch im nächsten Moment wurde ihre Miene wieder grimmig. »Das Schlimme ist, dass Seraphine immer so scheinheilig freundlich tut! Sie wolle mir einen Gefallen tun, sagte sie. Weil sie wüsste, wieungern ich nähe. Was soll ich darauf antworten?« Hannah machte eine hilflose Handbewegung. »Sie bringt mich immer wieder so weit, dass ich mich kindisch und dumm fühle! Und sie steht dann immer besonders gut da. Was bezweckt sie damit? Will sie mich aus dem Haus ekeln? Ha, da hat sie sich aber gründlich vertan, so leicht gebe ich mich nicht geschlagen!«
»Du redest, als ob ihr euch in einem Krieg befändet, aber ganz so schlimm wird es doch nicht sein, oder?«
Emmas buschige Augenbrauen hoben sich fragend.
Hannah funkelte sie an. »Schau nicht so, ich weiß genau, was dir durch den Kopf geht. Du findest auch, ich bin kindisch und
Weitere Kostenlose Bücher