Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
Meeresrauschen.
Der blaue Drache stieg in die klare Morgenluft auf, entfernte sich zusammen mit dem Drachenritter, der sie begleitet hatte.
»Und nun?«, fragte San, während er sich fester in seinen Umhang einhüllte. Es war kalt und vor allen Dingen sehr stürmisch. »Jetzt kommt das Schönste«, erklärte Ido rätselhaft. Dann blickte er auf das Meer hinaus. »Wir werden abgeholt. Aber Wir müssen ihnen entgegengehen.« Auf einem Pfad, der so steil und schmal war, dass man ihn von oben nicht hatte sehen können, stiegen sie die Klippen hinunter. Es handelte sich um eine Art Treppe, gewunden und in den Fels geschlagen, die von der Spitze bis zum Wasser hinunterführte und bei einem kleinen Ankerplatz endete, der genügend Platz bot, dass ein mittelgroßes Schiff dort anlegen konnte.
Unten angekommen, warteten sie lange. Der Wind zerrte an ihren Umhängen, während die Sonne ihre gewohnte Bahn auf das Wasser zeichnete. Dann endlich sahen sie sie kommen.
San hatte einiges über sie in der Geschichte der Drachenkämpferin gelesen: Menschen mit weißer Haut, die unter dem Meer lebten, die Nachfahren jener Abenteurer, die, der vielen Kriege überdrüssig, die Aufgetauchte Welt verlassen und sich unter dem Meeresspiegel ein neues Reich geschaffen hatten. Es war aufregend, sie nun leibhaftig vor sich zu sehen. Die meisten waren sehr dünn, hatten schneeweiße Haut, hellblaue Augen, die sich in kalten Blicken verloren, und langes, glänzendes Haar. Sie wirkten wie Gespenster mit eleganten, derart verlangsamten Bewegungen, als befänden sie sich noch unter Wasser. Das Schiff, mit dem sie anlegten, machte einen ähnlichen Eindruck: Geschmeidig, mit breiten, bläulichen Segeln und spitzem Bug schien es über das Meer gleiten zu können.
Bei ihnen angekommen, beugten sie vor Ido das Knie und begrüßten auch San mit einer respektvollen Geste.
»König Tiro sowie die Gräfin entbieten Euch ihren Gruß«, sagte der Mann, der der Anführer zu sein schien.
Ido beschränkte sich auf ein kurzes Nicken und fragte: »Wie lange brauchen wir bis in Euer Reich?«
»Zwei Wochen über das Meer, und dann noch weitere drerTagebis zur Grafschaft.« i Die ersten Tage war die Überfahrt für San eine aufregende Sache. Die meiste Zeit stand er an Deck und verfolgte das Wechselspiel des Lichts. Jede Stunde des Tages hatte ihre eigene Farbe, und mit der Sonne, die am Himmel ihre Bahn zog, schien das Wasser in einem fort sein Aussehen zu verändern. Wenn er dann nachts die Sterne betrachtete, geriet er oft in eine melancholische Stimmung, und die Wunde, die der Tod der Eltern ihm gerissen hatte, begann wieder heftig zu schmerzen. Dann stieß er sich von der Reling ab und machte, dass er in seine Kajüte kam.
„Erzähl mir von meinem Großvater«, bat er Ido dann häufig, und der Gnom tat ihm den Gefallen, berichtete, was eri mit Sennar erlebt hatte und was er von dessen Abenteuern wusste. Obwohl San die Geschichten alle auswendig kannte, war es doch etwas ganz Besonderes, sie aus dem Mund eines Mannes zu hören, der selbst dabei gewesen war. So nahm der Schmerz langsam ab, und seine Aufmerksamkeit richtete sich auf andere Dinge. Deswegen war es so schön, den Gnomen bei sich zu haben. Weil der ihn verstand.
Nach ungefähr einer Woche aber verfinsterte sich Sans Miene mehr und mehr. Jetzt empfand er es als beklemmend, auf solch engem Raum eingesperrt zu sein. Hier konnte er sich selbst nicht entfliehen, und wenn er sich langweilte, geriet er unweigerlich ins Grübeln.
So kam er auf die Idee, zum Zeitvertreib ein wenig zu zaubern. Lichter und Flämmchen ließ er entstehen. Wäre sein Vater noch da gewesen, hätte er sich das nicht erlauben können. Nun jedoch schienen Richtig und Falsch, Gut und Böse durcheinandergeraten zu sein. Gleich zweimal hatte er Ido und sich auf der Flucht vor den Assassinen mit seinen Kräften das Leben gerettet. Warum also sollte er sich nun nicht ein wenig darin üben? Für einen zwölfjährigen Jungen wie ihn war es ganz großartig, über solche Fähigkeiten zu verfügen. Sogar einen Drachen hatte er schon vom Himmel geholt. Aber dieses Können in der Öffentlichkeit zu zeigen, kam nicht infrage. Er schämte sich, und obwohl Ido von sei nen Kräften wusste, wartete er mit dem Zaubern lieber, bis der Gnom anderswo war oder sich schlafen gelegt hatte.
»Auch in der Untergetauchten Welt gibt es Magier, ebenso wie bei uns, weißt du das?«, sagte Ido eines Abends zu ihm während er, jeden Zug genießend, in Ruhe
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