Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
Alles tut weh: meine Rippen und mein Bauch, mein Rücken und vor allem meine Schultern und meine Arme. Meine Hände sind an die Wand gekettet. Da meine silbernen Handschellen direkt an der Wand befestigt sind, kann ich mich kein bisschen bewegen.
»Du solltest anfangen zu reden«, sagt Radath. »Du könntest als Erstes erklären, was genau du letzte Nacht eigentlich gemacht hast.«
Mir ist so dermaßen kalt, dass es schon anstrengend ist, überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Ich kneife die Augen zusammen, öffne sie wieder und mustere meine Umgebung. Wie bin ich hierhergekommen? Wie viel weiß Radath?
»Wo hast du den her?«, will Radath wissen. Er hält etwas in der Hand. Einen Dolch, den, den ich von Raen bekommen habe.
»Ich möchte mit Taltrayn reden.« Ich versuche, mit ruhiger Stimme zu sprechen, aber ich zittere zu heftig.
Radath lacht. »Natürlich möchtest du das.«
Aus den Augenwinkeln bemerke ich eine Bewegung. Hoffnung glimmt in mir auf. Aber sie stirbt einen Augenblick später, als Micid und nicht etwa Kyol in mein Blickfeld tritt.
Radath folgt meinem Blick. »Ich habe meinen Ther’rothi mitgebracht. Er wollte dich gern kennenlernen.«
Der Fae sieht mich an. Ich bin ohnehin schon am Zittern, aber jetzt erschaudert mein ganzer Körper wie verrückt.
»Micid ist ein seltenes Exemplar«, fährt Radath fort. »Möglicherweise einzigartig. Zeig ihr, was du kannst.«
Der Ther’rothi verzieht die Lippen zu einem Grinsen und verschwindet. Ich drücke den Rücken an die Wand und fürchte mich vor dem, was er vorhat, aber er taucht wenige Sekunden später an derselben Stelle wieder auf. Jetzt bin ich erst recht verwirrt. Radath sagte, Micid hätte mich kennenlernen wollen, dabei kennt er mich doch schon. Und ich weiß bereits, was er kann. Was sollte also diese Demonstration?
Radath kichert. »Findest du das lästig, dass du ihn nicht sehen kannst? Ich habe vor einigen Jahren von seiner Magie erfahren und zugestimmt, es geheim zu halten, nur der König und ich wissen, was er kann. Als Gegenleistung arbeitet er für mich, wenn ich ihn brauche.«
Irgendjemand hat dieses Geheimnis nicht gewahrt, aber ich habe nicht vor, den Lord General zu korrigieren.
Radath beugt sich vor, und seine Stimme wird zu einem Flüstern. »Außerdem ignoriere ich seine kleinen Ausflüge ins Tjandel .«
Tjandel . Ich habe das Wort schon einmal gehört. Micid hat gesagt, dass er dorthingehen würde.
»Sagt dir dieser Ort nichts?«, will Radath wissen. Offenbar will er, dass ich ihn danach frage, doch das werde ich nicht tun.
»Es ist ein … Wie nennt ihr es? Ein Hurenhaus. Ja. Es ist ein Hurenhaus in einem widerwärtigen Viertel von Corrist. Es liegt außerhalb der Silbermauern, daher können die Kunden einfach durch Risse hinein- und hinausgehen, ohne gesehen zu werden. Ich kenne viele Edelleute, die sich dort schon einmal vergnügt haben. Jeder von ihnen würde es leugnen, aber Micid steht dazu. Micid ist süchtig nach den Huren. Eigentlich ist er eher süchtig nach ihren Chaosschimmern.«
Für mich fühlt es sich an, als hätte Radath gerade einen dritten Eimer eiskaltes Wasser über mir ausgeschüttet.
»Die meisten Huren sind freiwillig da«, fährt er mit zuckersüßer Stimme fort. »Andere jedoch nicht. Sie haben nicht alle die Gabe des Sehens, und Micid hat eine Vorliebe für Menschen, die schreien und sich unter ihm winden. Er mag es, wenn sie ein wenig durchdrehen und nach dem unsichtbaren Dämon schlagen, der sich ihnen aufzwingt. Da du die Gabe des Sehens hast, wirst du wissen, was passiert, aber ich bin mir sicher, dass er nichts dagegen hätte, dich zu brechen. Du würdest für ihn schreien, nicht wahr, McKenzie?«
Micid beobachtet mich und hat ein kaum merkliches sadistisches Grinsen im Gesicht.
Auf einmal kommt Radath zum Punkt. »Du warst gestern Abend in Begleitung von zwei anderen Menschen. Wer war das?«
Er weiß nichts von Naito und Evan. Was für ein Glück. Sie müssen entkommen sein. Wenigstens das hat letzte Nacht geklappt. Ich setze mich etwas gerade hin und versuche, den Schmerz in meinen Handgelenken durch die Handschellen ein wenig zu lindern.
Radath hebt den vergifteten Dolch hoch, schiebt mir damit vorsichtig eine nasse Locke aus dem Gesicht und hält ihn mir dann vor die Nase. Er will mir Angst einjagen, und die habe ich auch, aber ich werde ihm nichts über die Menschen verraten. So kann ich mich auch nicht mehr retten, und ich würde Kyol damit schaden.
Radath legt mir eine
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