Die Schiller-Strategie: Die 33 Erfolgsgeheimnisse des Klassikers (German Edition)
der Work-Life-Balance kennt der Herzog natürlich noch nicht. Und er wäre ihm wohl auch herzlich egal gewesen.
Im klassischen Verhältnis von Chef und Angestelltem sitzt der Herzog klar am längeren Hebel. Er hat die Macht, und sein „Basta“ ist unwiderruflich. Nur eines kann er nicht: den Willen brechen. Und Schillers Wille zu schreiben ist mächtiger als ein fürstlicher Federstrich. „Dem Schwachen ist sein Stachel auch gegeben“ , schreibt Schiller später im „Wilhelm Tell“. Schillers Stachel lag in der Flucht – in der damaligen Zeit ein geradezu ungeheuerlicher Schritt. Und ein Affront, wie er heute vielleicht nur durch eine pikante Enthüllungsgeschichte eines Nachrichtenmagazins ausgelöst würde. Rache trieb ihn nicht an – aber der Durst nach Freiheit. So befreiend, wie der ersehnte Abschied von einer ungeliebten Stelle nur sein kann, so hat Schiller die Flucht aus des Herzogs Machtbereich empfunden. Auch wenn ihm der Abschied von seiner Familie, seinen Freunden, seiner Heimat sehr schwergefallen ist.
Schiller hat diesen Preis bezahlt. Er hat seine persönliche Karriereentscheidung getroffen. Seine Idee war ihm wichtiger als die Widerstände der Mächtigen, als die folgende berufliche Ungewissheit. Er hat trotz unsicherer wirtschaftlicher Verhältnisse seinen Nebenjob zum Hauptjob gemacht – weil er an sich glaubte, und an sein Talent. Nach dem Erfolg der „Räuber“ war er sich sicher: Dieser Erfolg würde nicht sein letzter sein. Er würde bestimmt kein kurzlebiger „Superstar“ werden, von dem nach anfänglicher Bekanntheit bald niemand mehr spricht. Ihn trieb der Gedanke um, dass sein Ruhm andauern würde – auch noch mehr als 200 Jahre nach seinem Tod. Der Erfolg hat ihm recht gegeben. Was ist dagegen schon ein kurzer beruflicher Eklat, ein im Zorn hingeworfener Job?
Und auch wir müssen uns heute immer wieder fragen, wie weit wir im Beruf zurückzustecken bereit sind – gerade dann, wenn wir davon überzeugt sind, die besseren Ideen, die besseren Konzepte zu haben. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, es bei erstbester Gelegenheit gleich zum Äußersten kommen zu lassen: Dazu muss der Druck schon so mörderisch groß sein wie bei dem völlig verzweifelten Schiller – oder wie in manchem Großunternehmen unserer Tage, wo sich die Selbstmorde von Mitarbeitern dramatisch häufen. Aber dass eine – wie auch immer geartete – Flucht meist nicht die beste Lösung ist, zeigt das folgende Kapitel.
„Einen Tyrannen zu hassen vermögen auch knechtische Seelen, Nur wer die Tyrannei hasset, ist edel und groß.“
Zweifel des Beobachters. Xenien aus dem Nachlass
13 ABER WISSE AUCH, WANN MAN DIPLOMATISCH SEIN MUSS
„Entwischte Worte sind beleidigte Vertraute.“
Don Carlos
Sie haben ja recht. Er hatte den Herzog brüskiert, bloßgestellt. Mit seiner Flucht aus Stuttgart, die doppelt schwer wiegt, weil er dem herzoglichen Militär angehörte. Und jetzt ist er zwar im gelobten Land, in Mannheim, aber so offen wie erwartet sind die Arme seiner Freunde nicht. Sie haben Angst – Angst vor Herzog Karl Eugen von Württemberg. Unfassbar … Und doch auch wieder verständlich. Sie haben wohl geglaubt, dass der Herzog ihn freiwillig gehen lassen würde. Sie kannten ihn schlecht, den Tyrannen … Und jetzt sind sich alle sicher, dass er – Schiller – schon gesucht wird. Als Flüchtling. Als Fahnenflüchtiger. Als Deserteur …
Unruhig geht Schiller im Zimmer des schäbigen Gasthofs auf und ab, hadert mit sich und der Welt, fährt sich ein ums andere Mal durch die roten Locken, die ihm wirr in die Stirn fallen. Sein Freund, der Regisseur Meyer, den er und Streicher zuerst aufgesucht hatten, hat ihm geraten, in einem Brief an den Herzog den endgültigen Bruch zu verhindern. Wütend ballt Schiller die Faust – zu Kreuze soll er kriechen? Ausgerechnet vor Karl Eugen? Niemals … Und was würde aus seiner Familie? Sein Vater steht in Diensten des Hofes – ob der Herzog ihn entlassen und die Familie aus dem Haus bei Schloss Solitude werfen würde?
Müde lässt sich Schiller auf einen abgewetzten Sessel fallen und vergräbt den Kopf in den Händen. Warum hatte er nicht früher daran gedacht, in welche Gefahr er seine Eltern und Geschwister mit seiner wahnwitzigen Flucht brachte? Vielleicht hatte Meyer recht. Ein kleiner Brief – damit konnte er einmal mehr die Macht seiner Worte unter Beweis stellen. Den Herzog einlullen mit irgendwelchen Schmeicheleien und ihm vielleicht doch die
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