Die schlafenden Hüter - Das Marsprojekt ; 5
»Felipe Rivera«, sagte er ernst. »Hat eine Frau und drei Kinder in Acapulco.«
Carl sah seine Schwester an. »Wieso fragst du?«
»Einfach so«, sagte Elinn.
Er musterte sie. Er kannte sie. Wenn sie so etwas fragte, dann fragte sie ganz, ganz bestimmt nicht einfach so .
Andererseits, sagte er sich, war der Mond im Augenblick über hundert Millionen Kilometer weit entfernt. Das Raumschiff flog durch leeren Raum und das würde noch zwei Wochen so bleiben. Es bestand keine Gefahr, dass Elinn irgendetwas anstellte.
8
Eine Lektion in Entschlossenheit
Dienstagmorgen, neun Uhr, Jiu-Jitsu-Stunde bei ihrem Lehrer Kim Seyong. Letzte Woche war sie froh gewesen, diesen Termin ergattert zu haben, aber nun hatte sie überhaupt keine Lust mehr. Eigentlich ging sie nur hin, weil ausgemacht eben ausgemacht war.
Seit ihrem fünften Geburtstag nahm sie jetzt schon Unterricht bei Mister Kim. Karate und Jiu-Jitsu erst, aber irgendwann hatte sich das dann auf Jiu-Jitsu konzentriert. Und nun fragte sie sich, wozu sie das eigentlich machte. Sie würde ja doch nie im Leben gegen irgendjemanden kämpfen. Jedenfalls nicht hier, nicht auf dem Mars, wo sie fast jeden kannte und jeder sie.
Besser nicht darüber nachdenken. Nicht darüber nachdenken, dass ihr Leben so, wie es war, einfach immer nur weitergehen würde, immer weiter und weiter, dass sich nie etwas ändern würde …
»Ariana«, sagte Kim Seyong unvermittelt. »Wo bist du mit deinen Gedanken?«
Ariana hielt inne, schwer atmend von dem Sprung, den sie gerade verpatzt hatte. »Ich weiß«, gab sie zu. »Ich habe heute ein bisschen Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren.«
»Das merke ich. Was ich wissen will, ist, warum.«
»Wegen nichts Besonderem«, sagte Ariana und zupfte ihren weißen Kampfanzug zurecht. Dann sagte sie: »Etwas Persönliches.«
Kim schwieg, sah sie einfach nur an. Wenn er nur irgendetwas gesagt hätte!
»Ich habe erfahren«, brachte sie schließlich heraus, »dass meine Mom mit einem neuen Mann zusammen ist und wieder ein Kind kriegen wird.« Schweiß lief ihr den Rücken runter. Irgendwie war es anstrengend heute.
»Hmm«, machte Kim und nickte nachdenklich. »Und was davon beschäftigt dich besonders?«
Es gab kein Entkommen, oder? »Eigentlich …« Sie zögerte. »Eigentlich mein Dad. Wie es ihn aus den Schuhen gehauen hat, das zu hören.« Sie erzählte Kim alles. Von Urs, der auf der Erde würde bleiben müssen. Dass sie auch auf die Erde wollte, weil das die einzige Möglichkeit war, wieder mit ihm zusammen zu sein. »Und jetzt sieht es so aus, als müsste ich hier auf dem Mars bleiben, weil … was weiß ich … weil mein Dad sonst womöglich tablettensüchtig wird oder so was!»
Ariana war selber überrascht über das, was da aus ihr herausbrach. Es musste unter der Oberfläche gelauert haben, ohne dass es ihr bewusst gewesen war. Ja, sie hatte Angst um ihren Vater. Das stimmte.
Aber sie hatte auch Angst um sich selbst.
Kim Seyong sah sie an, die dünnen Brauen leicht erhoben, den Blick so unergründlich wie stets.
»Ariana«, sagte er schließlich ruhig, »dein Vater wird darüber hinwegkommen. Er braucht nur etwas Zeit. Was du erlebt hast, war der erste Schock. Dass es ihn so getroffen hat, zeigt, dass er noch einer Illusion angehangen hat, nämlich dass er und deine Mutter eines Tages wieder zusammenkommen würden. Es ist heilsam für ihn, diese Vorstellung nun loslassen zu müssen. Es wird seiner Beziehung mit Mrs MacGee guttun. Ihr eine Zukunft geben. Und was dich anbelangt, Ariana«, setzte er eindringlich hinzu, »du bist sein Kind . Es ist seine Aufgabe, dich zu beschützen – nicht umgekehrt.«
Das ließ Ariana auf sich wirken, und während sie so dastand, schien die Welt für einen Moment stehen zu bleiben und alles still zu werden.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, gestand Ariana schließlich leise. »Zu meiner Mutter zu ziehen, wäre sowieso keine Lösung gewesen, weil es zu weit weg ist von dem Ort, an dem Urs leben wird.« Sie spürte, wie ihre Schultern herabsackten, beinahe von selbst. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Kim nickte. »Mit anderen Worten: Du hast ein Problem.«
»Das kann man wohl sagen.«
»Bist du entschlossen, es zu lösen?«
»Ja, schon«, sagte Ariana, »aber ich weiß eben nicht, wie …«
Ihr Jiu-Jitsu-Lehrer schüttelte sanft den Kopf, wie er es sonst immer tat, wenn sie eine Bewegung ganz falsch anging. »Wenn du ›aber‹ sagst, sagst du damit, dass es dir an Entschlossenheit
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