Die Schmetterlingsinsel
Als sie weiterging, war das Geräusch verschwunden, und mit ihm das Gefühl, dass sich Augen in ihren Rücken bohrten. Wahrscheinlich habe ich es mir nur eingebildet, sagte sie sich, als das Herrenhaus endlich vor ihr auftauchte.
Von nun an stahl sich Grace so oft sie konnte aus dem Haus, um sich mit Vikrama zu treffen. Sie küssten sich, gingen Hand in Hand durch den Wald, atmeten die vom Staub geklärte Luft und bewunderten die Schönheit der Nacht, die Geheimnisse, die sich jenen offenbarten, denen es gelungen war, die Welt anders zu sehen.
Wenn sie sich auf irgendwelchen Felsbrocken niederließen, breitete Vikrama seine Jacke über ihre Schultern aus. Seine Wärme und seine Küsse ließen die Sehnsucht nach mehr in ihr erwachen, doch obwohl das Begehren in seinem Körper brannte und in seinen Augen leuchtete, gab er sich ihm nicht hin. Ihre Küsse waren leidenschaftlich, doch ihren Körper berührte er nicht.
Wenn sie dann den Rest der Nacht gegen die Zimmerdecke starrte, verging sie beinahe vor einem Verlangen, das sie nicht kannte und von dem sie nicht wusste, wie sie ihm Linderung verschaffen sollte.
Während dieser Zeit war Grace so gut gelaunt wie noch nie. Selbst ihrer Schwester fiel die Veränderung auf.
»Bekommst du jetzt wieder mehr Schlaf? Du strahlst ja förmlich!«
»Ja, ich schlafe ganz hervorragend«, schwindelte Grace, denn sie wollte Victoria nichts von ihrem Liebsten wissen lassen, selbst wenn sie wusste, dass ihre Schwester ein Geheimnis wahren konnte.
Graces Fröhlichkeit hielt an, bis sich Stockton plötzlich zum Tee ankündigte. Zu spät kam ihr in den Sinn, dass sie vielleicht eine Krankheit hätte vorschützen sollen. So war sie dazu gezwungen, sich wieder einmal seine Schmeicheleien anzuhören, und die nicht ausgesprochene Drohung einer Heirat mit seinem Sohn hing wieder im Raum.
Diesmal musste sie sich nicht aus einem fadenscheinigen Grund verabschieden, ihre Mutter schickte sie und Victoria nach draußen, weil sie noch etwas mit Stockton bereden wollte.
Wahrscheinlich bespricht sie meine Verlobung mit George, dachte Grace bitter und musste all ihre Willenskraft aufbringen, um sich nichts anmerken zu lassen.
»Wollen wir im Garten Verstecken spielen?«, fragte Victoria da, und obwohl Grace absolut nicht nach Spielen zumute war, willigte sie ein.
»Ich fange an, und du versteckst dich!«, rief ihre Schwester, dann lief sie zu dem Frangipani-Baum.
Verstecken sollte ich mich beim nächsten Mal besser vor Stockton, schoss es Grace durch den Sinn, als sie sich auf die Suche nach einem Versteck machte. Während Victorias zählende Stimme hinter ihr herhallte, fiel ihr ein Laubengang ins Auge, dem sie bisher nur beiläufige Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Dort würde Victoria sie lange nicht finden. Bis dahin hatte sie sich über Stockton wieder abgeregt.
Als sie in den Gang, der aus knorrigen Bodhi-Bäumen geformt wurde, eintauchte, fühlte sie sich fast wieder wie in Tremayne House, wo es Laubengänge aus Obstbäumen gab. Während sie auf die Stimme ihrer Schwester lauschte, lief sie immer weiter in den Gang hinein. Sonnenlicht fiel durch die Zweige und malte helle Flecken in den Sand unter ihr. Als sie die Mitte des Ganges erreicht hatte, schienen alle Geräusche plötzlich verschwunden zu sein. Sie blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Vielleicht sollte sie sich öfter hier aufhalten …
»Genießen Sie die Ruhe, Miss Grace?«
Unvermittelt tauchte Stockton neben ihr auf. Weiß der Teufel, wo er hergekommen war!
Grace schnappte erschrocken nach Luft und wich zurück.
Schlagartig bereute sie, hier hineingelaufen zu sein. Stockton musste sie auf dem Weg über den Hof gesehen haben und ihr gefolgt sein.
»Mr Stockton, wollten Sie nicht mit meiner Mutter sprechen?«
Stockton lächelte, während er mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf sie zukam. »Es war nur ein recht kurzes Gespräch, aber ich wollte nicht gehen, ohne mich vorher von Ihnen verabschiedet zu haben.«
So, wie seine Augen leuchteten, dachte er ganz gewiss nicht an Abschied. Grace hatte diesen Ausdruck auf seinem Gesicht schon bei Vikrama gesehen, in der Nacht, als sie in seiner Hütte gewesen war.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, schoss Stockton plötzlich auf sie zu und drückte sie hart gegen die Wand aus Baumstämmen. Das lüsterne Funkeln in seinen Augen machte ihr furchtbare Angst.
»Endlich bin ich mit meiner kleinen Prinzessin allein.«
»Lassen Sie mich
Weitere Kostenlose Bücher