Die Schoene im Schnee
nicht zu Hause. Nach meinem Unfall war ihr Vermieter so freundlich, mich im Hauptgebäude übernachten zu lassen. Die Adresse ist dieselbe. Die Western Sky in Cold Creek Canyon.”
Verena war einen Moment lang still. „Verstehe“, sagte sie betont beiläufig, was Mimi jedoch keine Sekunde lang täuschte.
„Es ist nicht so, wie du denkst“, widersprach sie.
„Ich denke überhaupt nichts. Fürs Denken werde ich nicht bezahlt“, sagte Verena in einem so frostigen Tonfall, dass Mimi stutzte.
„Lass gut sein, Verena. Major Crest war so freundlich, mich aus einem Fluss zu retten, nachdem mein SUV von der Straße abgekommen ist. Er war wirklich … großartig.“
„Sollen wir ihn für seine Mühen bezahlen?“
Mimi atmete scharf aus. Das würde Brant ihr verübeln. „Ich habe mich noch nicht entschieden, wie ich mich bei ihm bedanke.“
„Dir fällt bestimmt etwas ein.“
Da war er wieder, dieser leichte, kaum wahrnehmbare, verurteilende Ton in Verenas Stimme, der besonders jetzt an Mimis Nervenkostüm kratzte.
Besonders schmerzte Mimi jedoch die Erkenntnis, dass sie es verdient hatte, so behandelt zu werden. Verena unterstand direkt ihrem Vater, der auch ihr Gehalt bezahlte, und deshalb hatte sich Mimi all die Jahre bemüht, ihre Missetaten gegenüber Verena übertrieben darzustellen.
Wenn sie mit einem Mann ein Date hatte, wurde in ihrer Version daraus ein flotter Dreier. Sie sah auch jetzt keinen Grund, das Image, dass sie jahrelang aufgebaut hatte, zu zerstören. Schon gar nicht am Telefon. „Ich würde morgen gern früh los. Nicht später als acht Uhr.“
„Ich denke, das lässt sich einrichten.“
„Daran zweifle ich nicht.“ Mimi hielt inne und dachte an die vielen Jahre, in denen sie Verena mit Missgunst begegnet war. Ihre Gefängniswärterin hatte sie sie immer genannt.
Verena genehmigte ihre Ausgaben, koordinierte ihre Termine, arbeitete mit den anderen Angestellten in Malibu und Bel Air und gab jedes Detail ihres Lebens an Werner weiter.
Dabei hätte sie vielleicht sogar ihre beste Freundin sein können, wenn sie im Krieg zwischen Werner und Mimi nicht zwischen den Fronten stünde. „Verena, … danke. Ich … ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde.“
Verena antwortete erst nach einer langen Pause und klang dabei überrascht. „Gern geschehen.“
Mimi unterbrach die Verbindung und ließ sich gedankenverloren auf die Bettkante nieder.
Wenn Verena, die Mimi besser kannte, als sonst irgendjemand in den letzten fünf Jahren, schon so wenig von ihr hielt, wie konnte sie dann glauben, dass sie einen Mann wie Brant verdient hatte?
Es war richtig, von hier abzureisen.
Auch wenn sie insgeheim befürchtete, dass sie damit den größten Fehler ihres an Fehlern nicht gerade armen Lebens beging.
9. KAPITEL
Wo blieb nur dieses Schwangerschaftsleuchten, das sie mittlerweile ausstrahlen müsste?
Am frühen Morgen des darauffolgenden Tages blickte Mimi finster in den runden Spiegel des Gästebads. Ihre Augen waren geschwollen, die Haut gerötet und fleckig.
Kein Problem. Sie hatte Schminke und ein halbes Dutzend Designersonnenbrillen dabei, mit denen sie sich vor der Welt verstecken konnte.
In der Nacht hatte sie nur wenige Stunden geschlafen. Die meiste Zeit lag sie zusammengekauert im Bett, hatte Simone an sich gedrückt und beobachtet, wie der Mond am Fenster vorbeizog.
Nie zuvor hatte sie sich mehr gewünscht, Maura Howard zu sein. Wie gern wäre sie einfach eine ganz normale Frau, die selbst den Einkauf erledigte, ihre Kleider bei einer Handelskette kaufte und ihr Auto selbst betankte.
Maura Howard war eine Lehrerin oder eine Krankenschwester oder eine Bibliothekarin. Jemand, der nett und unkompliziert war, einen einfachen Geschmack und ganz normale Eltern hatte.
So jemanden hatte Brant verdient. Jemanden ohne Mimis Vergangenheit. Jemanden, mit dem er sich guten Gewissens in Pine Gulch sehen lassen konnte. Jemand, der zu den ‚Vier Winden‘ passte, wenn sie am Küchentisch saßen und Geschichten austauschten.
Sie war jedoch nicht Maura Howard und würde es auch niemals sein. Die wirkliche Herausforderung lag wahrscheinlich darin, als Mimi glücklich zu werden, doch im Moment wusste sie nicht, wie ihr das jemals gelingen sollte.
Sie schminkte sich fertig, band die Haare im Nacken locker zusammen und packte eilig ihre restlichen Habseligkeiten zusammen.
Simone setzte sich neben den Koffer, fing an zu winseln und bedachte Mimi mit einem traurigen Blick.
„Wir müssen
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