Die schöne Philippine Welserin: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman) (German Edition)
ausgelegt habe. Žit wacht davor und kläfft jeden an, der sich ihnen nähern will.
Ach, könnte ich nur eine undurchlässige Mauer aus Liebe und festem Glauben um sie bauen, um sie vor allem Unbill dieser Welt zu schützen!
Denn der Tod Regines ist nicht der einzige Kummer, der an mir nagt. Tief im Urgestein der alten Burg, weit unter der Zelle, die einst Lenka beherbergte, siechen seit Jahren Gefangene dahin. Ketzer seien es, so hat Ferdinand mir mit verzerrtem Gesicht gesagt, Aufrührer. Staatsfeinde, die sich gegen den katholischen Glauben schwer versündigt hätten.
Alles, was ich sehen und hören kann, sind zwei ausgezehrte Männergestalten mit Augen, in denen keine Hoffnung mehr wohnt, Jan Augusta, inzwischen eine Elendsgestalt, und Jakob Bielek, dem Tod näher als dem Leben.
Das Osterfest rückt näher, und damit auch die Stunde, in der Jesus seinen Peinigern verziehen hat.
Wer bist du, frage ich Ferdinand, dich über den Heiland stellen zu wollen?
Ich habe ihn erreicht, das merke ich daran, wie schnell er hinausrennt, direkt in seine Werkstatt, um beim Hämmern und Sägen die innere Balance wiederzufinden.
Ich folge ihm, lasse nicht von ihm ab.
Sei gnädig, bitte ich. Wenn du sie schon nicht freilassen kannst, so erleichtere zumindest ihre Haft. Lass sie ans Licht, löse ihre Ketten, speise sie ausreichend.
Denn hoffen nicht auch wir jeden Tag auf Gottes unendliche Gnade?
*
Burg Pürglitz, April 1563
Stepan, für die Ställe zuständig , bekam als Erster die schwarzen Beulen. Ihm folgten Ondrej, Adan, Michal. Am Tag darauf Aneta, Adela, Julie. Als Küchenmeister Petr Libor sich zum Sterben ins Bett legte, schwappte eine schwarze Welle von Angst in die Burg, die sich durch nichts mehr vertreiben ließ.
Man hatte die Kranken in die Stallungen gebracht und dort eine Art notdürftiges Lazarett eingerichtet. Ausgerüstet mit Masken und schweren Mänteln, angeleitet von Anna Welser, versuchten Petrs Frau Eliska und ihre erwachsenen Töchter zu retten, was noch zu retten war.
In der Burg waren Philippine und ihre Mutter pausenlos im Einsatz. Überall hing und lag mittlerweile Engelwurz: auf den Truhen und Tischen, an den Wänden, zwischen den Laken. Räucherungen führten die beiden inzwischen mehrmals täglich durch. Jeder musste Lebzelten, Paste und Pestilenzwasser schlucken, auch die Kinder, die sich seltsamerweise nicht einmal gegen die bittere Medizin auflehnten.
Am Gründonnerstag wurde Philipp krank.
»Die Zähne«, behauptete Anna zunächst noch, als er zu fiebern begann. Sie kühlte seinen Körper mit kalten Umschlägen, flößte ihm Lindenblütentee ein, schließlich Alantwurzel. Viel zu schnell wurde er matt und schwach, schließlich verlor er das Bewusstsein.
Philippine hielt ihn in den Armen, bis der Morgen kam, den Blick immer wieder angstvoll auf Maria gerichtet, die unruhig in der Wiege strampelte, als spüre sie den drohenden Verlust.
Kaum war es hell geworden, setzte sein Atem aus.
Ein Schluchzen kam aus Philippines Brust, so laut und rau, als stamme es von keinem menschlichen Wesen.
Anna, die ins Zimmer kam und sofort erkannte, was geschehen war, löste ihre Finger von dem kleinen Toten und trug ihn hinaus.
Philippine lief zur Wiege.
»Du musst leben«, flüsterte sie Maria zu. »Wenigstens du – lebe!«
Doch die Kleine, die sonst stets auf jeden ihrer Laute reagiert hatte, hielt die Augen geschlossen und wimmerte leise.
Als Philippine Marias Stirn berührte, war diese schweißnass – und glutheiß. Sie riss das Kind heraus, drückte es an ihre Brust, begann zu singen, zu beten, zu weinen.
Irgendwann gingen die Augen der Kleinen noch einmal auf, fragend und wasserhell – dann schlossen sie sich für immer.
Ihr Zauberkind hatte sie verlassen. Maria war tot.
Was danach geschah, war ein Albtraum, den Philippine immer wieder auf verschiedenste Weise durchleben sollte. Das starke Mittel, das Anna ihr verabreichte, damit sie nicht den Verstand verlor, versetzte sie in Schlaf. Und dennoch glaubte sie, wach zu sein, hellwach sogar, unterwegs auf der vergeblichen Suche nach all den Kindern, die sie bislang verloren hatte.
Durch endlose Flure musste sie rennen, Stufen erklimmen, hinab in die tiefsten Keller steigen. Aus Truhen und Kästen hörte sie sie rufen, sah überall kleine Hände, die sich bittend nach ihr ausstreckten – und konnte sie doch nicht berühren.
Irgendwann verstummten die Stimmen, verschwanden die Bilder. Dann gab es nur noch das wilde Heulen
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