Die schönste Zeit des Lebens
das Quatsch, aber manchmal …
Was ist manchmal?, fragt Fred in Egons Schweigen hinein.
Manchmal, sagt Egon, wünsche ich mir, dass es passiert. Weil ich die Angst nicht mehr aushalte, dieses Warten darauf, dass etwas passiert.
Sie schweigen. Fred ist nervös, er trommelt mit den Fingerkuppen auf der Theke.
Komm, wir gehen noch woanders hin, sagt er. Das ist doch der reinste Totentanz hier. Kein Wunder, dass man da depressiv wird.
Aber das ist nicht der alte Fred, der da spricht, seine Stimme ist matt, Vergeblichkeit schwingt darin mit.
Heute nicht, hört Egon sich sagen. Irgendwie bin ich heute nicht in der allerbesten Verfassung.
Und Fred drängt den Freund nicht, vielleicht ist er sogar froh, dass sein halbherziger Vorschlag nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Sie sitzen noch eine Weile nebeneinander an der Bar. Einige Male öffnet Fred den Mund, als wolle er etwas sagen, zuckt dann aber nur mit den Schultern.
Wir werden alt, sagt er schließlich, ohne den Blick zu heben. Komm, ich fahr dich nach Haus.
17
DER TRAUM VON DER LEICHTIGKEIT . Als Robert zur Tür hereinkommt, sieht er sofort, dass heute alle da sind: Tom, Andy, Martin, Georg, Sebo, sogar Max, der schon studiert, weil er als jüngster von drei Söhnen freigestellt ist und keinen Zivildienst zu leisten braucht. Alle sind da, nur sie nicht. Noch nicht.
Hallo, Max! Was machst du hier? Ich denke, du studierst.
Heimaturlaub, sagt Max und grinst.
Der Traum von der Leichtigkeit. Aufbruch an einem sonnigen Morgen, vom unteren Ende der Theke, an den anderen vorbei – He, Alter!, Hi! –, die vertrauten Gesichter, das Tropfen des Schmelzwassers, das Rauschen des Bachs, plötzlich vibriert die Luft vor freudiger Erwartung, er schließt die Augen, atmet den Duft, den er kennt, den er von irgendwoher kennt, dreht sich um: Hallo!
Sie ist nicht da, kommt auch später nicht, als das Kino schon aus ist. Er steht mit den anderen im Pulk an der Theke, sie reden über dies und das. Kein Thema, das mehr als zwei Sätze erlaubt. Es ist eine Unruhe in ihnen, sie sind auf dem Sprung. Als warteten sie auf ein Signal, darauf, dass jemand zur Tür hereinkommt und ihnen sagt, dass dies ein ganz besonderer Abend ist, der Anfang von etwas ganz Außergewöhnlichem, etwas, das nur für sie in Szene gesetzt wird, etwas Staunenerregendes, Herzaufwühlendes. Das Ineinander der Stimmen, zuweilen anschwellend wie Mönchsgesang, ein Lachen flackert auf, erstirbt, weicht der Stille, die unter all dem Reden liegt. Immer wieder schaut Robert zum Eingang hinüber, sieht, wie immer mehr junge Leute hereinkommen und das Schock sich füllt.
Sie ist nicht da, kommt auch nicht, als die ersten schon wieder gehen. Robert blickt sich um, eine plötzliche Erkenntnis, betreten stellt er fest, dass dies ein Abend wie alle anderen ist. Dieselben Gesichter, dieselben immer wieder einsetzenden und abbrechenden Gespräche. So ist es wahrscheinlich, wenn man alt ist, denkt er plötzlich, alt wie sein Vater und seine Mutter: Man sieht, was man kennt, man hört, was man schon hundertmal gehört hat, man erwartet gar nicht mehr, etwas anderes zu sehen oder zu hören. Und sein Traum? Sein Traum, dieses täuschende Gefühl zu schweben, ist zerstoben, die gespannte Erwartung einer zähen Mattigkeit gewichen.
Was ist denn das für ein DJ heute Abend, sagt Sebo. Wann legt der endlich mal was Vernünftiges auf?
Der Abend ist nicht zu retten. Es liegt nicht an der Musik, dass Robert sich nicht amüsiert, es liegt vielleicht nicht einmal an ihr, dass sie nicht kommt, wie er vermutet, wie er gehofft hat, wie er gegen alle Vernunft immer noch hofft.
Und wie ist es so, das Studium?, fragt er Max.
Viel Arbeit, sagt Max. Aber macht Spaß.
Es liegt, denkt Robert, nur daran, dass er immer noch hier ist. Die schönste Zeit des Lebens sei das, die Zeit nach dem Abschluss der Schule, bevor der Ernst des Studiums und des Berufslebens beginne, hat Rektor Hausenberger auf der Abiturfeier gesagt. Vielleicht stimmt es ja für die anderen, die Behüteten aus den besseren Familien, deren Weg klar vorgezeichnet ist. Aber für Robert gilt es nicht. Für ihn ist es nicht ein Innehalten auf einem vorgezeichneten Weg, ein Atemholen und Neu-Anlaufnehmen. Ihm ist überhaupt kein Weg vorgezeichnet. Er muss weg, weit weg, um an einem anderen Ort sein Leben noch einmal ganz von vorn zu beginnen, um es überhaupt erst richtig zu beginnen. Hier steckt er fest, kann sich nicht bewegen, hier wird er bewegt, hier weisen ihm andere
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