Die schönste Zeit des Lebens
legt es wieder zusammen.
Den Kuchen kannst du mit in die Altenhilfe nehmen, sagt die Mutter. Dann haben die Kollegen auch etwas davon.
Ja, sagt Robert. Das ist eine gute Idee.
Robert ist nicht nach Feiern zumute, aber Marita hat für den Abend etwas im Parkcafé vorbereitet. Ins Café Sandmann gehen sie nicht mehr. Andy, Tom, Martin, Sebo. Sogar Max ist dabei. Das Päckchen vor ihm auf dem Tisch: blaues Seidenpapier, grüne Schleife. Das Geschenk ist von allen gemeinsam, aber die Verpackung, das sieht Robert sofort, ist Maritas Werk. Er zieht die grüne Schleife auf, faltet das blaue Seidenpapier auseinander, findet ein schwarzes Etui, darin eine modische Sonnenbrille von Fossil. Verspiegelt. Robert setzt die Brille auf, blickt in die Runde.
Du siehst aus wie ein Mafia-Boss, sagt Andy.
Wie Will Smith, sagt Tom.
Nein, überhaupt nicht, sagt Marita. Du siehst aus wie Toby Maguire.
Max und Sebo wollen sich nicht auf einen Vergleich festlegen.
Scharfe Brille, sagt Max.
Steht dir echt krass, sagt Sebo.
Schade, dass Fari nicht mitfeiern kann, weil sie immer noch Nachtdienst hat. Aber sie wird bestimmt anrufen. Ruft auch tatsächlich an. Genau in dem Moment, als Robert den anderen erklärt, dass Fari Nachtdienst hat und deswegen leider nicht mitfeiern kann, klingelt Roberts Handy.
Hallo?
Es ist tatsächlich Fari. Alle lachen: Wenn man vom Teufel spricht …
Na, bei euch ist ja gute Stimmung, sagt Fari. Herzlichen Glückwunsch! Mein Geschenk gebe ich dir, wenn du am Sonntag kommst. Du kommst doch?
Klar komm ich, sagt Robert.
Also bis dann.
Er ist nicht mehr nüchtern. Er hat Sekt getrunken und Bier und wieder Sekt. Wie durch einen Schleier sieht er die anderen, hört ihre Worte, hört ihr Lachen. Und auf einmal merkt er, dass es gar nicht der Alkohol ist, der seinen Blick trübt, oder nicht nur. Ihm laufen Tränen über die Wangen, er lacht und ihm laufen Tränen über das Gesicht.
Was ist?, fragt Marita, die neben ihm sitzt.
Ich weiß nicht, sagt Robert. Manchmal denke ich, dass ich das alles nicht schaffe …
Dass du was nicht schaffst?
Na, alles, sagt er. Das ganze Leben.
46
ALS ROBERT SPÄT AM ABEND heimkommt, ist Werner längst wieder gegangen und die Eltern schlafen schon. Aber der Geruch von Werners Zigarre ist noch im ganzen Haus. Auf dem Bett ein Brief: vom Nachlassgericht. Robert öffnet ihn, liest. Er solle sich beim Nachlassamt der Stadt melden, steht da. In einer Erbangelegenheit.
Erbangelegenheit. Robert spricht das Wort ein paar Mal vor sich hin, wie um zu überprüfen, ob ein verborgener Nebensinn darin enthalten ist. Er ist zu müde, vielleicht auch zu betrunken, um zu begreifen, worum es in diesem Schreiben geht. Erst am nächsten Morgen, als er aufwacht und den Brief vor seinem Bett liegen sieht, liest er ihn noch einmal, versteht seinen Wortlaut, begreift aber immer noch nicht, was das zu bedeuten hat: eine Erbangelegenheit. Er hat frei, weil er am Samstag für Herrn Wesendonk einspringen muss. Also wird er gleich heute Morgen zum Nachlassamt gehen, um herauszufinden, was die da von ihm wollen.
Das Nachlassamt besteht aus einem mit Aktenordnern vollgestopften Zimmer, einem abgewetzten Schreibtisch, hinter dem ein jugendlich aussehender Mann mit Hornbrille sitzt, und zwei merkwürdig deplatziert wirkenden, ledergepolsterten Stühlen mit hohen Lehnen.
Nehmen Sie Platz, Herr Markmann, sagt der Mann mit der Hornbrille.
Robert setzt sich auf einen der überdimensionierten Stühle und beobachtet den Beamten, der an seinem Schreibtisch hantiert wie ein Priester am Altar. Eine Akte wird aufgeschlagen, ein Räuspern, die Fingerspitzen berühren flüchtig die Kante des Schreibtisches, als ginge es darum, sich von seiner korrekten Stellung im Raum zu überzeugen, dann hört Robert die Stimme, die einen feierlichen Ton anschlägt: Herr Robert Markmann, wohnhaft allhier, Bredowstraße 62, … als Alleinerbe eingesetzt …
Das Geldvermögen, sagt der Nachlassbeamte, sei nicht erheblich, ein Girokonto, Kontostand 43 268 Euro, und ein Postsparbuch mit 12 000 Euro, aber die Eigentumswohnung mit allem, was darin ist, Möbel, Bilder, Bücher … Na ja, die Bücher bringen nicht viel, falls Sie das Ganze verkaufen wollen, aber die Möbel und die Bilder …
Ja, aber … Wieso?
Robert sitzt da, die Hände um die Löwenpfotenenden der Armlehnen gelegt, den Mund halb offen. Er weiß nicht, was er sagen soll.
Wieso er? Gibt es denn keine Verwandten?
Keine Verwandten, jedenfalls keine
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