Die Schrift in Flammen
Lange weinte sie. Bálint befürchtete bereits, das Stubenmädchen könnte hereinkommen, um die Lampe anzuzünden, und sie beide in dieser Stellung finden. Es war aber unmöglich, Adrienne von sich wegzuschieben. Darum verharrte er so und hielt sie in den Armen.
»Addy, liebe Addy«, wiederholte Bálint unzählige Male, während er sie beruhigend streichelte, wie man ein Kleinkind zu liebkosen pflegt, wenn es traurig ist. Der warme Körper der Frau schmiegte sich in ganzer Länge an ihn, ihre Brüste schoben sich auseinander, die Schenkel umklammerten ihn, und doch erwachte in ihm keine Sehnsucht außer dem Wunsch, sie zu beruhigen, zu trösten und von seiner selbstlosen Liebe zu überzeugen, auf dass sie verstehe, wisse, glaube und darauf vertraue, in ihm einen aufrichtigen Freund zu haben, der zu ihr steht. Lange saßen sie, so ineinander verschlungen, wie ein verwaistes Geschwisterpaar. Adrienne erhob sich schließlich.
»Verzeihen Sie … verzeihen Sie …!« flüsterte sie kaum vernehmbar und ordnete im Knien wieder ihr Haar, das ihr von den Tränen feucht zerzaust ins Gesicht hing.
»Verzeihen Sie … das ist nicht meine Art«, flüsterte sie wieder, »ich schäme mich … wirklich sehr.«
Bálint brachte keine Antwort heraus; die Szene hatte ihn sehr gerührt. Er zog einzig die Hand der Frau zu sich herüber, liebkoste und küsste sie: »Addy!« »Monster!« »Liebste!«
Adrienne lächelte matt: »Ja, Sie haben recht.« Sie machte eine kleine Pause. »Und Sie verreisen heute Abend?«
»Ich muss. Wo doch alles so schön war.«
»Ja. Schön.«
Ruhig umarmten sie sich – auch jetzt nur als Geschwister.
Dann verließ Bálint langsam das Zimmer. Von der Tür blickte er zurück. Adrienne saß immer noch auf den Kissen. Das Feuer gab kein Licht mehr. Im Dunkeln sah er kaum mehr ihre zum Abschied gehobene Hand, mit der Adrienne ihm zuwinkte und die sie dann entsagend in den Schoß fallen ließ. Erst als er sich auf dem Flur den Mantel anzog, bemerkte er, dass Adriennes Tränen seine rechte Schulter ganz durchnässt hatten.
Sehr langsam schritt er heimwärts. Er machte sogar einen Umweg, um die Rückkehr zu verlängern. Und nichts gab es in ihm außer Teilnahme und Rührung. Die Lampen am Gehsteig beschrieben im abendlichen Dunst einen breit gedehnten Strahlenkreis, als würde sich ihr Licht durch Tränen hindurch weich in die Farben des Regenbogens auflösen.
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Vierter Teil
I.
László Gyerőffy war seit der Faschingsmitte erster Vortänzer. Dies galt damals noch als eine im mondänen Leben sehr bedeutende Position. Er war derjenige, mit dem die Mütter, die einen Ball zu geben beabsichtigten, alle Einzelheiten besprachen. Der Erfolg des Abends hing von seiner Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit ab, die sich auf alles erstrecken sollte; sein ermunternder Schwung beeinflusste die allgemeine Tanzlust, sein Taktgefühl entschied über die Unbeschwertheit der Stimmung, und seine Erfindungsgabe war maßgebend für den Bewegungsreichtum und die Ordnung beim Kotillon. All dies hing von ihm ab; es kam auf seinen Einfallsreichtum und seine Unermüdlichkeit an und ob er gegenüber den Zigeunermusikanten genug Autorität besaß, vor allem aber musste er imstande sein, das sich zierende Jungvolk notfalls zum Tanzen zu beordern. Oh ja, dies war eine hochwichtige Position, die zahlreiche Fähigkeiten erforderte.
Gyerőffy hatte das Amt teilweise von Ede Illésváry geerbt, der, da er sich Mitte Januar verlobt hatte, zurückgetreten war. Doch galt dies nur insofern, als er auch bisher gewohnt war, Illésváry zu helfen. Das allerdings hätte zur Nachfolge noch nicht ausgereicht, ohne die unlängst eingetretene Erhöhung seines gesellschaftlichen Werts, es hätte nicht genügt, wenn er bloß der bescheidene Tänzer geblieben wäre, wie man ihn in den letzten zwei Jahren gekannt hatte: Zwar war er ein Verwandter der Kollonichs und der Szent-Györgyis, aber doch nur eine Nummer, kein Name, nur einer unter den Mitläufern, der sich herbefehlen ließ, wenn sich beim Kotillon für eines der Mädchen kein Partner fand. Zu diesem Aufstieg brauchte es mehr. Dazu bedurfte es, wie gesagt, der Autorität und einer Position. Die Autorität aber hatte er sich auf folgende Weise erworben.
Anfang Januar fand eines Nachts in einem Extrazimmer des Casinos ein Gelage mit Zigeunermusik statt. Péter Kollonich und Kristóf Zalaméry
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