Die Schwester der Braut
den Hörer beiseite, setzte ihre Sachen ab und schloss die Haustür. Dann ging sie ins Wohnzimmer zurück und nahm das Telefon wieder auf. »Bist du da?«, fragte sie.
»Heute ist Joshs Geburtstag«, sagte Dana tonlos.
Alex schloss die Augen. Sie konnte praktisch spüren, wie schmerzhaft dieser Tag für ihre Freundin sein musste. »Das tut mir so leid. Ich wünschte, ich hätte es gewusst. Ich . . .« Sie wusste nicht, was sie getan hätte, wenn sie es gewusst hätte. Sie wusste allerdings, was sie tun wollte. Sie wollte zu Dana fahren, sie in den Arm nehmen und sie nicht wieder loslassen, bis der Schmerz verging.
»Er wäre dreiundzwanzig geworden«, sagte Dana. Beide schwiegen für eine Weile, dann fragte Dana: »Du weißt, wie er gestorben ist?«
Alex nickte, was Dana natürlich nicht sehen konnte. Es dauerte einen Moment, ehe Alex die Worte sagte. »Eine Überdosis.«
Dana kniff ihre Augen zusammen und kämpfte gegen einen weiteren Weinkrampf. Sie war machtlos. Ein Schluchzer entriss sich ihr. Es war noch immer zu schmerzhaft, diese Worte in Verbindung mit ihrem Sohn zu hören; mit dem kleinen Jungen, der er gewesen war; mit dem Mann, der er hätte werden sollen.
»Dana, ich . . .« Alex wollte sich ins Auto setzen, sie wollte Dana halten. »Bitte, lass mich zu dir kommen . . .«, flehte sie.
»Nein. Ich kann das jetzt nicht, Alex.«
Die jüngere Frau wusste, wovon Dana sprach. Sie konnte sich jetzt nicht mit ihren Gefühlen für sie auseinandersetzen, wenn sie um ihren Sohn trauerte. Alex verstand es, doch sie wollte Dana auch helfen, und sie hatte nicht das Gefühl, dass ihr das von Baltimore aus möglich war. Alex wünschte fast, Dana hätte ihre Mutter angerufen. Andererseits war sie froh, dass Dana sie selbst ins Vertrauen zog.
Dana hörte langsam auf zu schluchzen und schnäuzte sich. »Deine Mutter hat es dir erzählt?«, fragte sie schließlich, an ihre Unterhaltung anknüpfend.
»Ja. Sie hat mit mir und Alicia darüber gesprochen. Ich glaube, sie wollte sichergehen . . .« Alex verstummte.
»Dass ihr nicht denselben Weg nehmt«, führte Dana den Satz zu Ende.
»Ja«, bestätigte Alex.
»Lauren ist eine gute Mutter«, bemerkte Dana. Ein Schluchzer folgte dieser harmlosen Aussage, der implizierte, was Dana sich im Stillen vorwarf: dass sie keine gute Mutter gewesen war.
»Das warst du auch, Dana«, sagte Alex bestimmt. Sie konnte Danas Kopfschütteln nicht sehen, nur erahnen.
»Ich habe ihn nicht beschützt«, entgegnete die ältere Frau.
»Du warst immer für Josh da. Du hast ihn zur Selbstständigkeit erzogen. Es war nicht deine Schuld, Dana.« Es zerriss Alex, dass Dana sich Vorwürfe am Tod ihres Sohnes machte. Sie hatte nichts tun können, das wusste Alex. Trotz des Altersunterschieds zwischen ihr und Joshua gehörten sie zur selben Generation. Hätte Alex jemals die Neugier verspürt es auszuprobieren, es wäre leicht gewesen, an jede Art von Drogen zu kommen. Doch sie hatte diese Neugier nicht verspürt. Sie kannte einige Freunde, die Drogen genommen hatten, in kleinen Mengen und auch in etwas größeren. Die waren glücklicherweise davon losgekommen. Es war eine Phase gewesen. Doch nicht für jeden war es nur eine Phase. Für manche wurde es zur Sucht. So wie für Josh.
Alex hörte Dana weinen.
»Hör mir zu, Dana. Joshua . . . er war erwachsen. Vielleicht hatte er Probleme. Probleme, von denen du nichts ahntest. Probleme, von denen du nichts ahnen solltest. Joshua hätte jederzeit zu dir kommen können. Das tat er nicht. Wer weiß, was in ihm vorging. Auf jeden Fall bin ich mir ganz sicher, dass er wusste wie sehr er sich immer auf dich verlassen konnte. Du warst seine Mutter. Du hättest ihm geholfen. Du hast deinen Sohn geliebt, Dana. Ich glaube, das weiß er auch jetzt noch.« Obwohl das Konzept von Religion Alex nicht immer geheuer war, glaubte sie an eine Seele. Und sie glaubte daran, dass die Toten die Gedanken der Lebenden hören konnten. Sie war sich sicher, dass Josh sich der Liebe seiner Mutter bewusst war. Er musste es einfach wissen.
Sie konnte hören, wie Dana sich beruhigte. Ihr Atem ging länger. Sie klang erschöpft. »Ich kann nicht glauben, dass er nicht mehr da ist, Alex«, sagte sie nach einer Weile.
»Ich weiß.« Alex dachte für einen kurzen Moment an ihren Vater, der ebenfalls jäh aus seinem Leben gerissen worden war. Es war schwer gewesen für die ganze Familie. Am schwersten für ihre Mutter. Zweifellos vermisste Lauren ihren Mann noch
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