Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
ich Euch richtig einschätze, ist Familie Sachse nicht ganz arm, er hätte sich erlauben können, jemanden mit Nachforschungen zu beauftragen. Es gibt solche Leute, sogar sehr verlässliche.»
«Mein Vater», erklärte Luis trocken, «ist der nächste alte Patriarch, wie Ihr es so hübsch treffend ausdrückt.»
«Dann passt gut auf, dass Ihr es wenigstens ein bisschen milder handhabt, wenn es an Euch sein wird, die Rolle zu übernehmen. Ihr habt meine Frage nicht beantwortet: Warum glaubt Ihr, sollte gerade ich sie finden?»
«Eben wegen Eurer Talente», erklärte er grinsend und betonte das Wort Talente besonders, «und – zugegeben – weil Ihr in dieser Sache meine einzige Hoffnung seid. Wenn man sich in der Stadt ein wenig umtut, hört man die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass Ihr – wie soll ich es sagen, ohne Euch zu nahe zu treten? Ja, dass Ihr gern dem Weddemeister ins Handwerk pfuscht. Oder soll ich sagen: zur Hand geht? Nein», nun grinste er besonders breit, «das gefällt Euch nicht. Ihr geht nicht zur Hand, Ihr handelt selbst. Davon habe ich am Alsterufer eine gute Probe bekommen. Und natürlich weil Ihr selbst etliche Jahre Wanderkomödiantin wart, Ihr kennt viele dieser Leute, sicher habt Ihr auch viel gehört, Ihr wisst, wen man fragen muss oder kann. Ich nehme an, es ist wie bei den Flößern, die kennen sich von ihren Fahrten auch. Zugleich kennt Ihr Euch in dieser Stadt gut aus und seid mit vielen Leuten bekannt. Euch wird man eher etwas anvertrauen als mir, einem Fremden, der zudem gar nichts mit dem Theater zu tun hat. Da machen Fragen nur misstrauisch, oder? Die Fahrenden sollen immer argwöhnisch werden, wenn einer zu viel nach ihren Verhältnissen und Angelegenheiten fragt.»
«Nicht anders als die braven Bürger, glaubt mir. Ihr seid in der Tat gut informiert. Und Ihr sprecht sehr offen. Erlaubt mir dasselbe. Warum wollt Ihr Eure Base finden? Immerhin nach etwa zwei Jahrzehnten. Ihr kennt sie nicht, sie ist – wahrscheinlich – einige Jahre nach Euch geboren, sicher etliche Tagereisen von Eurer Heimat entfernt, in unglücklichen, um nicht zu sagen aus bürgerlicher Sicht fragwürdigen Verhältnissen.»
«Zum einen vergesst Ihr, dass ich erst vor wenigen Monaten von ihrer Existenz erfahren habe, ich konnte sie also nicht früher suchen, zum anderen den wichtigsten Grund: Für meinen Vater mag das Mädchen ein Bankert sein, von dem keine Notiz zu nehmen ist, für meine Großmutter ist diese unbekannte Enkelin die einzige Verbindung zu ihrer verlorenen Tochter. So ist sie auch die einzige Möglichkeit, ein Versäumnis, nein, lasst es mich sagen, wie es ist, die einzige Möglichkeit, eine große Schuld wenigstens um ein Quäntchen zu begleichen. Denn das empfindet sie – eine große Schuld.»
«Sie hat doch nicht vom Elend ihrer Tochter gewusst oder wo sie sich aufhielt, also konnte sie nicht helfen.»
«Just das habe ich auch eingewandt. Sie empfindet es anders. Sie ist sicher, wenn sie von Anfang an verweigert hätte, Antonie totzuschweigen, hätte sie davon erfahren und helfen können. Vielleicht würde Antonie sogar noch leben. Ich glaube das nicht, aber ihr lässt das keine Ruhe.»
«Eine wichtige Frage noch: Geht es bei dieser Suche um Geld? Ich meine viel Geld. Konkret gesagt: Geht es um ein Erbe?»
Luis’ Gesicht wurde streng, plötzlich konnte Rosina sich seinen Vater und Großvater vorstellen, kantige Männer, unbarmherzig gegenüber Schwächen und darin gutbürgerlich in ihren Moralbegriffen. «Ist das nicht unwichtig?», fragte er knapp. «Muss es immer um Geld gehen?»
« Wenn es darum geht, ist es immer wichtig. Also: Geht es oder nicht?»
«Ihr seid wirklich verdammt hartnäckig. Ja. Es geht auch um Geld. Auch! Vor allem aber …»
«Um viel Geld?»
«Himmelherrgott! Ich weiß es nicht. Meine Großmutter verfügt über eigenes Geld, auch einige ertragreiche Wälder. Über wie viel, weiß ich nicht, nur bevor Ihr fragt. Es wird nicht wenig sein. Es hat mich nie interessiert, und ja, sie hat sicher vor, zumindest einen Teil davon dieser Enkelin zukommen zu lassen.»
Seltsamerweise war es diese Heftigkeit, die Rosina ihr Misstrauen beiseiteschieben ließ. Aus einem ihr nicht ersichtlichen Grund war sie überzeugt, er wäre kühl und beherrscht geblieben, wenn er das Mädchen finden wollte, um es – ja, was? – beiseitezuschaffen? Aus dem Weg zum Erbe der alten Madam Sachse zu räumen? So in etwa.
Sie griff nach der Kaffeekanne, die Pauline inzwischen und
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