Die Schwestern von Rose Cottage: Ashley (German Edition)
bestimmt die Achtung vor ihr verloren hatte, seit er wusste, dass sie es war, die Tiny Slocum zur Freiheit verholfen hatte. Allerdings würde er bestimmt wie der Blitz durch die Tür verschwinden, sobald ihre Lebensgeister wieder zurückkehrten. Das wäre dann wahrscheinlich das Ende ihrer Bekanntschaft. Freundschaft? Beginnende Affäre? Was für eine Art Beziehung hatten sie eigentlich?
Sie betrachtete ihn nachdenklich. „Warum bist du noch nicht weg?“ Vielleicht würde seine Antwort ihr weiterhelfen. Sie liebte es, alles in ihrem Leben hübsch geordnet in Schubladen zu stecken. Josh dagegen wollte bisher in keine Kategorie passen.
Doch statt ihr die direkte, unkomplizierte Antwort zu geben, auf die sie gehofft hatte, sah er sie nur verständnislos an. „Warum sollte ich weggehen?“
„Du weißt jetzt, wie wenig Menschenkenntnis ich besitze“, erklärte sie. „Das mag für eine normale Person nicht so schlimm sein, aber bei einem Anwalt ist das geradezu tragisch. Ich habe den Respekt vor mir selbst verloren.“
„Komm schon, Ashley. Ich werde doch nicht wegen eines Fehlers, den du gemacht hast, deinen ganzen Charakter abwerten“, erwiderte er. „Du bist ein guter, anständiger Mensch mit großen Fähigkeiten. Auch als Anwalt.“
„Du kennst mich doch noch gar nicht lange genug, um dir so ein Urteil zu erlauben“, protestierte sie und war fest entschlossen, nicht auf seine aufmunternden Worte einzugehen. Sie war immer noch in ihrem Selbstmitleid gefangen.
„Das sieht jeder“, widersprach er. „Sonst würde diese Sache dich gar nicht so mitnehmen. Du solltest es als Erfahrung abbuchen und unbedingt weitermachen. Du hast doch daraus auch etwas gelernt. Sieh es positiv.“
Sie starrte ihn ungläubig an. „Einfach weitermachen? Wie könnte ich das? Wie sollte das überhaupt jemand können?“
„Anwälte machen das ständig“, erwiderte er. „Sie müssen Leute verteidigen, auch wenn sie vermuten, dass ihre Mandanten schuldig sind. Das ist nun mal ihr Job. Du hast doch selbst gesagt, dass jetzt jemand in deiner Kanzlei Slocums Verteidigung übernommen hat.“
„Du scheinst keine sehr hohe Meinung von Anwälten zu haben“, bemerkte sie bitter.
„Ich sehe das nur realistisch. Auf jeden Fall ist meine Einschätzung im Moment besser als deine“, behauptete er und winkte ab, als sie ihn unterbrechen wollte. „Lass mich ausreden.“
„Gut. Sprich weiter.“
„Vielleicht würde ein guter Anwalt versuchen, lediglich eine Strafminderung zu bewirken, wenn die Beweise erdrückend sind. Trotzdem muss er immer im Interesse des Klienten arbeiten, ob er nun schuldig oder unschuldig ist. Jeder hat das Recht auf eine gute Verteidigung, das ist in der Verfassung verankert.“
„Ja“, gab sie zu.
„Du glaubtest, du hättest einen unschuldigen Mann verteidigt. Es stellte sich heraus, dass du unrecht hattest. Das ist nicht das Gleiche, als ob man bewusst einem Schuldigen die Freiheit beschafft.“
Ashley weigerte sich immer noch, seine Sichtweise zu teilen. „Aber es fühlt sich genauso an. Ich fühle mich verantwortlich dafür, dass dieser Slocum noch eine weitere Frau fast umgebracht hätte.“
Josh schaute ihr in die Augen. „Was glaubst du, wie die Geschworenen, die ihn freigesprochen haben, sich jetzt fühlen? Wirfst du ihnen Versagen vor? Hast du das Gefühl, sie betrogen zu haben?“
Sie schloss die Augen und seufzte. „Nein. Tiny hat uns allen etwas vorgemacht. Ich bin aber sicher, dass sie sich jetzt ebenso elend fühlen wie ich.“
„Du musst außerdem bedenken, dass die Polizei und der Staatsanwalt ebenfalls versagt haben. Jeder hat in diesem Fall Fehler gemacht, du musst nicht alles auf deine Schulter nehmen.“ Er rückte mit dem Stuhl näher und strich mit der Hand über ihren nackten Arm. „Deine Schultern sind sowieso viel zu hübsch, um all die Last allein zu tragen.“
Ashley erschauerte unter seiner Berührung. Es wäre so einfach, sich jetzt fallen und sich ein wenig von ihm ablenken zu lassen. Es wäre wunderbar, wenn er sie jetzt küssen, streicheln und sie dann wild und leidenschaftlich lieben würde. Es war genau das, was sie sich am Abend zuvor gewünscht hatte. Und im Moment schien die Aussicht sogar noch verlockender zu sein.
Sie würde ihn jedoch auf keinen Fall bitten, bei ihr zu bleiben. Ihr Stolz würde das nicht zulassen, und auch ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, dass der Zeitpunkt ebenso falsch wäre wie am Vorabend, ja vielleicht sogar noch
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