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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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Blütengebilde zum Leben erwacht. Es war wie im Paradies. Für Cathleen und Amalia gab es keinen schöneren Ort. Die beiden Mädchen hatten einen Moment der Unaufmerksamkeit von Miss Carrington ausgenutzt und waren nach draußen entwischt.
    In der stillen Komplizenschaft, mit der sie sich schon immer nur mit einem Blick oder einer Geste verständigen konnten, wussten sie beide sofort, wohin sie laufen würden. Sie fassten einander bei der Hand und rannten mit flatternden Kleidern und leuchtenden Augen den Abhang hinunter. Amalias Schleife, die sich an ihrem Rücken gelöst hatte, wehte ihnen wie eine lange Fahne hinterher.
    Unten wandten sich die beiden nach rechts und liefen lachend weiter, direkt ins Gebüsch hinein. Zweige schlugen ihnen ins Gesicht, doch sie blieben erst stehen, als sie unten am Teich ihr Versteck hinter der alten Eiche mit dem ausgehöhlten Auge erreicht hatten. Außer Atem sanken sie auf den Boden. Hier hatten sie sich schon oft versteckt. Es war ihr geheimer Platz.
    »Ich hole den Schatz«, sagte Amalia und sprang mit geröteten Wangen wieder auf. Sie griff in das ausgehöhlte Auge, um nach einem alten Beutel zu angeln, den sie heimlich hier verstauten. Er war gefüllt mit Steinen, die sie überall gesammelt hatten.
    Cathleen nahm ihr den Beutel ab und schüttete ihn aus. In stummer Übereinstimmung begannen sie die Steine sofort nach Farben zu sortieren – einen Haufen mit weißen und grauen, einen mit orangefarbenen und ziegelroten, dann einen mit grünen und schließlich mit grauen und schwarzen.
    »Der gehört nicht dazu!«, sagte Amalia plötzlich und nahm Cathleen einen Stein fort, den diese zu den grauen und schwarzen gelegt hatte. Sie drehte ihn demonstrativ herum. Tatsächlich war er auf der Rückseite orangefarben.
    »Natürlich gehört er da hin.« Cathleen riss Amalia trotzig den Stein aus der Hand und legte ihn zurück.
    »Das ist falsch«, beharrte Amalia und kreuzte die Arme vor der Brust. »Er ist orange!«
    »Ist er nicht!«, erwiderte Cathleen aufgebracht. Einen Moment lang starrten sich die Mädchen an. Doch plötzlich lenkte etwas ihre Aufmerksamkeit ab. Ein Rascheln war hinter ihnen zu hören.
    »Oh, schau mal«, sagte Amalia aufgeregt.
    Cathleen drehte sich herum. Direkt hinter ihnen kletterte ein Eichhörnchen einen Stamm hinauf. Fasziniert beobachteten die beiden kleinen Mädchen, wie das Tier flink zwischen den Ästen in der Baumkrone verschwand.
    Sie wandten sich gerade wieder den Steinen zu, als mit einem Mal von Weitem die Stimme von Miss Carrington zu hören war, die nach ihnen rief, und gleichzeitig zwischen den Farnen am Teich eine harkende Männergestalt sichtbar wurde. Es war Mr Benson, der Gärtner.
    Cathleen legte den Finger auf den Mund.
    Der Gärtner lächelte nur und erwiderte ihre Geste.
    »Mr Benson ist nett«, stellte Amalia fest. Sie legte einen orangefarbenen Stein für ihn hin.
    »Stimmt!« Cathleen tat es ihr nach.
    Erneut hörte man die Gouvernante.
    Amalia verzog das Gesicht und drückte sich unwillkürlich ein Stück enger an die Eiche. Cathleen kicherte.
    Fast gleichzeitig legten sie einen dunkelgrauen Stein heraus. Es war ein altes Spiel zwischen ihnen. Die orangefarbenen und ziegelroten standen für die Menschen, die sie am meisten mochten, die grauen und schwarzen für die, die sie am wenigsten leiden konnten, die weißen wiederum waren die, die ihnen gleichgültig waren, und die grünen die, die ihnen etwas unheimlich vorkamen.
    »Fanny?«
    Amalia zuckte die Achseln und legte einen weißen Stein hin, Cathleen einen orangefarbenen. Die Kammerzofe hatte ihr letzte Woche ein altes Armband geschenkt – dem musste Rechnung gezollt werden. Und so ging es weiter, ein Mensch nach dem anderen, den sie kannten, bekam einen Stein. Sie liebten das Spiel, das sich jede Woche aufs Neue veränderte.
    »Und Mummy?«
    Amalia schaute sie überrascht an. Für ihre Eltern hatten sie noch nie einen Stein vergeben.
    Doch bevor sie zum Antworten kam, hörten sie zwischen den Büschen Schritte auf sie zukommen. Hastig stopften sie die Steine in den Beutel, und Cathleen ließ ihn eilig wieder in dem Baumloch verschwinden. Gerade noch rechtzeitig, denn als sie herumfuhren, tauchte vor ihnen auch schon die Gestalt der Gouvernante auf.
    »Also wirklich, Miss Amalia und Miss Cathleen, Sie sind doch beide zu alt, um einfach wegzulaufen. Und zumindest von Ihnen kann ich wohl schon etwas Vernunft erwarten, Miss Cathleen. Sie sollten Ihrer kleinen Schwester ein Vorbild

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