Die Schwestern von Sherwood: Roman
meiste beruht auf Aberglauben.«
Sie stellte mit nachdenklicher Miene die Tasse auf dem kleinen Tisch neben sich ab. »Wahrscheinlich, aber interessanterweise steckt in jedem Aberglauben auch ein bisschen Wahrheit, oder? Wie in dieser Geschichte über die Sherwood-Schwestern zum Beispiel.«
Er hätte sich beinahe an seinem Tee verschluckt und starrte sie an. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, er wäre sich sicher gewesen, dass sie bei der Frage keinerlei Hintergedanken hegte.
»Soweit ich weiß, handelt es sich dabei nicht um eine Legende, sondern um eine wahre Begebenheit«, erwiderte er knapp.
»Können Sie mir etwas darüber erzählen?« Es war nur ein kurzes Flackern in ihren Augen, das ihr brennendes Interesse verriet.
»Nein, leider nicht«, log er. »Ehrlich gesagt, interessiere ich mich für solche Geschichten nicht besonders.« Er blickte nach draußen. Sie würde ihre wahren Beweggründe, warum sie hier war, nicht so einfach preisgeben, erkannte er. »Der Regen hat etwas nachgelassen. Soll ich Sie nach Old Postbridge fahren?«
35
D ie Rückfahrt verlief wortkarg. Seitdem sie ihn auf die Schwestern von Sherwood angesprochen hatte, war George Clifford wie ausgewechselt. Höflich, aber zurückhaltend kühl. Als würde er ihr etwas übel nehmen, dachte Melinda. Sie wandte heimlich den Kopf zu ihm.
Er hatte etwas an sich, das sie verwirrte. Es entsprach der Wahrheit, dass sie überlegte, etwas über die Märchen und Legenden im Dartmoor zu schreiben. Warum hatte er so ablehnend darauf reagiert? Sie war einer spontanen Eingebung gefolgt, als sie ihn nach der Sherwood-Legende gefragt hatte. Nicht im Entferntesten hatte sie mit dieser eigenartigen Reaktion von ihm gerechnet.
Ihr Blick glitt nach draußen. Es hatte aufgehört zu regnen, und man konnte sehen, dass das Moor und seine Wiesen sich mit Feuchtigkeit vollgesogen hatten. Die Straßen, durch die sie fuhren, waren von riesigen Pfützen bedeckt, die in jeder Kurve an dem Wagen hochspritzten.
Schließlich passierten sie das Ortsschild von Old Postbridge. Melinda war froh, als George Clifford vor dem Landgasthof hielt.
Die Hände auf dem Lenkrad, drehte er sich zu ihr um. »Wie lange werden Sie im Dartmoor bleiben?«
»Bis Sonntag. Meine Fortbildung geht am Montag weiter, aber ich werde nächstes Wochenende noch einmal herkommen.« Sie wusste selbst nicht, warum sie den letzten Satz gesagt hatte.
»Für Ihre Recherchen?« Er verzog spöttisch den Mund.
Sie nickte.
»Darf ich Ihnen einen Rat geben? Die Leute hier mögen es nicht so gern, wenn man zu viele Fragen stellt.«
Ohne ihr die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, stieg er aus und öffnete ihr auf der anderen Seite die Wagentür.
»Danke noch einmal für alles«, sagte sie leise.
»Es war mir ein Vergnügen, Miss Leewald.« Er griff plötzlich in die Innentasche seines Mantels und reichte ihr eine Visitenkarte. »Falls Sie noch einmal Hilfe brauchen!« Ein leichtes Lächeln glitt über seine Lippen. »Passen Sie auf sich auf!«
Sie sah ihm hinterher, wie er in den Wagen stieg und, ohne sich noch einmal umzublicken, davonfuhr. Nachdenklich betrachtete sie die Karte in ihren Händen.
36
M rs Benson war überglücklich, sie zu sehen.
»Mein Gott, wir wollten schon jemanden losschicken, der nach Ihnen sucht. Mit diesem Regen haben wir nicht gerechnet. Sie sind hoffentlich sofort umgekehrt?«
Melinda wich verlegen ihrem Blick aus. »Hm, nicht direkt. Aber danke noch einmal für das Cape und die Stiefel. Sie haben mir gute Dienste geleistet«, beeilte sie sich hinzuzufügen, bevor sie sich in ihr Zimmer zurückzog.
Sie spürte mit einem Mal, wie müde sie war. Dankbar entledigte sie sich ihrer feuchten Sachen, die sie vor dem warmen Ofen zum Trocknen ausbreitete, und legte sich aufs Bett, um sich etwas auszuruhen.
Fast augenblicklich fiel sie in einen tiefen Schlaf. Sie träumte wirr – von einem von Efeu überwucherten Anwesen. Nebelschwaden umhüllten es, und eine weiße, durchscheinende Frauengestalt stand auf der Schwelle des Hauses und winkte sie herein. Sie folgte ihr, doch plötzlich war die Frau verschwunden, und Melinda irrte allein durch ein Labyrinth aus dunklen Räumen und Gängen. Sie öffnete Türen, die in immer neue Zimmer und Flure führten, bis sie nicht mehr wusste, wo sie war. Panik ergriff sie. Ein Mann lächelte sie von Weitem an – es war George Clifford. Dann stand sie auf einmal mitten im Moor. Sie versuchte, in dem morastigen Boden
Weitere Kostenlose Bücher