Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
trennte mit der Schere jedes einzelne
der Kabel durch. Zufrieden betrachtete sie dann die komplett schwarzen Monitore
und grinste boshaft über den Streich, den sie der Holländerin gespielt hatte.
Die große Schere ließ sie unter dem Tisch liegen, die Haarnadel genügt ihr. Sie
näherte sich der Tür und drückte sich in den Türrahmen. Vorsichtig spähte sie
um die Ecke. Der Gang lag verlassen vor ihr. Endlos viele Stahltüren gingen von
beiden Seiten des Ganges ab, hinter einer von ihnen musste sich die
Folterkammer befinden. Sie schlich hinaus und machte sich auf die Suche nach
Pater Simone.
Jules
stand vor dem Eingangsportal des alten Mietshauses und überprüfte die Adresse,
die ihm Lukas genannt hatte. Hier war er richtig. Da er keinen Schlüssel besaß,
drückte er wahllos mehrere Klingelknöpfe, bis die Haustüre summte. Irgendwer
öffnete immer. Er zählte langsam bis 25, dann erst schlich er sich in den
vierten Stock hinauf. Das Schloss der Wohnungstüre hatte er in wenigen Sekunden
geknackt. Das Apartment war hell erleuchtet.
"Hallo,
ist hier jemand? Rabea? Pater Simone? Ich bin`s, Jules." Keine Antwort.
Jules sah sich in der kleinen Wohnung um. Vom kargen Flur gingen vier hohe,
weiße Holztüren ab. Drei davon waren geschlossen. Schnell überzeugte er sich
davon, dass diese in die blitzblanke Küche, ein spartanisches Schlafzimmer mit
schmalem Bett und ein winziges Bad führten. Alles war ordentlich und proper,
jeder Gegenstand an seinem Platz. Es überzeugte Jules, dass weder Rabea noch
Simone die Wohnung gewaltsam verlassen haben konnten. Trotzdem führte die
vierte, und einzig offen stehende Tür, scheinbar ins unmittelbare Chaos. Vor
dem Fenster stand ein großer wuchtiger Schreibtisch aus Eiche, bei dessen
Anblick sich Jules unwillkürlich fragte, wie dieser durch die schmale Tür
gepasst hatte. Er war mit vergilbt aussehenden Dokumenten, die an den Rändern
ausgefranst wirkten, übersät. Die jeweiligen Enden waren mit Messern beschwert.
Wie ein deplatziertes Artefakt, ragte zwischen den alten Papyri ein
aufgeklappter Laptop empor. Ein moderner Flachbildschirm stand auf den blanken
Fliesen dahinter auf dem Boden, einige Kabel leblos von sich gestreckt.
Offensichtlich hatte er dem Laptop kurzfristig weichen müssen. Auf dem gesamten
Terrazzoboden waren Dokumente verstreut, so dass er kaum auftreten konnte und
einen merkwürdig schlingernden Zickzackkurs quer durch den Raum einschlagen
musste, um bis zu dem Schreibtisch zu gelangen. Ein durchgesessener
Schreibtischstuhl, ein wackeliges Tischchen, auf dem ein Tastentelefon
posierte, mehrere Bücherregale aus Sperrholz und ein brauner Ledersessel, aus
dem bereits eine Springfeder ragte, vervollständigten das kärgliche Mobiliar.
Pater Simones Bruder schien möbelmäßig nicht dem Luxus zu frönen, dafür
entsprachen Hard- und Software dem Allerfeinsten. Als erstes prüfte Jules die
Wahlwiederholung des Telefons. Es meldete sich eine Trattoria da Gino. Eine
Sackgasse, außer man hatte Hunger. Jules wandte sich Rabeas Laptop zu, als ein
digitales Klingeln erklang. Er folgte der Richtung und fand ein Handy unter
einem Stapel Dokumente auf dem Boden. Das Display zeigte eine Nummer in Rom an.
Er kannte diese, er hatte sie erst vor einer halben Stunde auswendig gelernt. Er
meldete sich mit einem: "Hallo Lukas, hier ist Jules."
"Verdammt,
Jules, was machst du mit Rabeas Handy?" Die Worte waren kaum
ausgesprochen, als Lukas klar wurde, dass er heute bereits zum zweiten Mal Gott
gelästert hatte und er spürte, wie eine eigenartige Empfindung von ihm Besitz
ergriff. Es war ein gleichsam verstörendes Gefühl und ähnelte jenem, als er als
Jugendlicher in Kalifornien das erste und einzige Erdbeben seines Lebens
miterlebt hatte. Der Körper registrierte zwar, wie sich der Boden unter einem
bewegte, aber der Verstand weigert sich, diese Erkenntnis als Gewissheit zu
verarbeiten, weil das eigene Bewusstsein darauf konditioniert ist, dass der
Boden unter den eigenen Füßen eine unantastbare Konstante darstellt. Konnte es
sein, dass er im Begriff stand, seinen Halt im Glauben zu verlieren? Indessen
antwortete ihm Jules: "Ich habe gerade das Rätsel gelöst, warum Rabea ihre
Anrufe nicht beantwortet: Ihr Handy liegt hier in der Wohnung. Ich habe auch eine
Notiz von ihr gefunden, in der sie Pater Simone ankündigt, sich bei ihm von
unterwegs aus zu melden. Leider steht nicht darauf, wohin sie wollte. Immerhin
scheinen alle Dokumente noch vorhanden zu sein. Es
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