Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
behandelte, von dem man nichts weiter erwarten konnte. Das hatte sich schlagartig geändert, als Charles damals ohne Übergang das Kommando übernommen hatte. Johnson hatte nur einmal versucht zu widersprechen, was Charles mit nur einem Blick im Keim erstickt hatte. Und sehr bald hatten sie gelernt, einander zu schätzen.
»So findet sich also die ganze Gruppe wieder zusammen«, sagte Jessica mit einem kaum zu überhörenden ironischen Unterton. »Es wundert mich nur, Captain Harding nicht vorzufinden. Sollte er seine Verletzung damals etwa nicht …«
Charles ärgerte sich über diese Frage und noch mehr über den Tonfall. Jessica O’Connor, damals noch Jessica Finnegan, hatte zwar allen Grund gehabt, Hardings Tod zu wünschen, aber für Charles war dieser Mann – mit all seinen Fehlern – von Kindheit an ein Freund gewesen. Der beste, den er jemals besessen hatte. Vielleicht auch der einzige.
Hätte Charles nicht dafür gesorgt, dass sich die fähigsten Ärzte um Harding kümmerten, hätte er den ganzen Arm verloren oder wäre vielleicht sogar am Wundfieber zugrunde gegangen. Und nun war es nicht nur der Gedanke an Harriet, der ihn vorwärtstrieb.
»Wie aufmerksam, dass Sie sich nach ihm erkundigen«, sagte er mit einer gewissen Schärfe. »Es geht ihm gut. Er hat sich nach dem Unfall hervorragend erholt.«
»Sehr gut erholt sogar«, mischte sich Lan Meng ungnädig ein. Sie sprang auf und trat vor Jessica hin, um sie von oben bis unten zu mustern. »Sie also sind die Frau, die ihm die Hand hat abgeschlagen?« Ihre helle Stimme hatte einen drohenden Unterton.
»Ich hätte ihm auch den Kopf abgeschlagen, um meinen Mann zu retten«, erwiderte Jessica kühl, offensichtlich nicht gewillt, sich von der kleinen Chinesin einschüchtern zu lassen.
Lan Meng funkelte sie wütend an. »Natürlich. Das hätte ich auch getan, aber trotzdem nehme ich diese Worte übel. Verflucht übel!«
Jessicas Augenbrauen schnellten hoch, aber bevor die Situation eskalieren konnte, wurde es an Deck unruhig. Gleich darauf stand Johnsons Zweiter Offizier in der Kajütentür. »Verzeihen Sie, Sir, wir haben in der Ferne Schiffe gesichtet. Wir können noch nicht ausmachen, um wen es sich handelt, aber sie scheinen in einen Kampf verwickelt zu sein.«
Lan Meng war noch vor Charles und Johnson an Deck. Sie riss Johnson das Fernrohr aus der Hand und kletterte mit der Behendigkeit eines Äffchens die Wanten hinauf, bis an die Spitze des Großmastes. Kurz darauf schrie sie herunter: »Die Sea Snake , Charles! Es ist die S ea Snake! Und zwei fremde Schiffe!«
Johnson hatte schon zusätzliche Segel setzen lassen, auch wenn die Masten unter dem starken Druck bedenklich knarrten und das Tauwerk einen hohen, fast aggressiven Gesang anstimmte. Gischt spritzte über die Reling und durchnässte die Männer an Deck. Die Entfernung zu den kämpfenden Schiffen verringerte sich zusehends, doch immer noch viel zu langsam.
Die nächste Stunde wurde die längste in Charles’ Leben. Er stand, schon zum Kampf bereit und bewaffnet, neben Johnson und Lan Meng auf dem Achterdeck. Auf die anderen wirkte er lediglich ein wenig angespannt, aber seine Fäuste waren so fest geballt, dass die rohe Haut in den Innenflächen schmerzte. Er verwünschte jede Sekunde, die er mit dem Kampf gegen das Piratenschiff verloren hatte, auch wenn Jessica Finnegan das vermutlich anders sah und er ihr gegenüber ein leises Schuldgefühl verspürte. Kostbare Stunden, die vielleicht über Leben und Tod auf der Sea Snake entschieden. Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, als eine Breitseite von Hardings Schiff die backbord von der Sea Snake segelnde Barke so schwer beschädigte, dass sie sich zur Seite neigte. Das Schiff schien sich zu fangen, unendlich langsam hoben sich die Masten wieder, dann stieg Rauch auf. An Bord herrschte helle Aufregung, Männer sprangen ins Meer. Die Explosion tauchte die drei Schiffe in ein blendendes Licht, brennende Trümmerteile flogen durch die Luft. Das Munitionslager war explodiert und nahm das ganze Schiff und alle Männer mit in den Tod. Charles kniff die Augen zusammen, um zu sehen, welcher Schaden auf der Sea Snake entstanden war. Einige brennende Teile waren an Deck gelandet, und etliche Männer machten sich daran, sie zu löschen. Einige kletterten in die Wanten, um glosende Segelstücke herunterzuholen. Charles fokussierte sein Fernrohr auf das Achterdeck, auf der Suche nach Harding. Er konnte ihn nicht ausmachen. Dort war Bains, sein
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