Die seidene Madonna - Roman
Erinnerung an Eure Mutter hat mich mehr als einmal heimgesucht, junger Mann.«
Jacquou fühlte sich bei dieser Begrüßung reichlich unbehaglich. Dass der König ihn einfach so ohne Umschweife auf seine Mutter ansprach, die er nie kennengelernt hatte, störte ihn.
»Wer ist Euer Vater?«, fragte der König freundlich.
»Mit acht Jahren habe ich von meiner Schwester Isabelle erfahren, dass der Webermeister, der mich aufzog, auch mein Vater ist, königlicher Herr.«
»Und wie ist sein Name?«
»Monsieur Pierre de Coëtivy, Hoheit.«
»Dann besitzt Ihr wohl schöne, große Werkstätten«, meinte der König leichthin. »Soweit ich weiß, geht es Coëtivy nicht schlecht.«
»Von meinem Vater habe ich nichts bekommen«, entgegnete Jacquou kühl.
»Nichts! Warum denn das? Hat er Euch nicht anerkannt?«
»Er wollte mich nie anerkennen. Doch das ist nicht der Grund für unseren Bruch. Er verzeiht mir meine Heirat nicht.«
»Aha!«, meinte der König. »Aber hat er Euch denn nichts hinterlassen?«
»Doch! Maître de Coëtivy hat sein Wissen und seine Fähigkeiten an mich weitergegeben und mir die Kunst des Webens beigebracht. Dafür bin ich ihm auch sehr dankbar.«
»Das sind zweifellos schon einmal sehr wichtige Fertigkeiten.«
Van Orley hatte sich diskret zurückgezogen, damit sich der König und der junge Weber ungestört unterhalten konnten.
»Er hat noch nicht viele Kunden, Louis«, mischte sich da Jean de Villiers behutsam ein. »Wenn Ihr ihm ein paar Aufträge zukommen lassen könntet, sobald Ihr zurück seid, wäre das, glaube ich, eine gute Sache und eine schöne Geste in Erinnerung an seine Mutter.«
Louis XII. seufzte - alle wollten etwas von ihm! Dies hier war allerdings wirklich eine gute Gelegenheit, eine Domäne zu fördern, die den Königen sehr nahe war. Wer sonst, wenn nicht die Monarchen, wäre der geeignete Abnehmer für die schönen und
kostbaren glänzenden Tapisserien, die die Wände ihrer Schlösser zierten? Er wandte sich wieder an Kardinal de Villiers.
»Und wie ist es mit Euch, Jean? Seid Ihr ihm nicht zu Hilfe gekommen? Aufträge vonseiten der römischen Prälaten wären ihm sicher ebenfalls sehr zuträglich.«
»Durchaus. Deshalb habe ich ihn ja auch mit meinem Freund Van Orley nach Italien kommen lassen.«
Louis nickte, offenbar wünschte er Genaueres zu erfahren.
»Jeder weiß, dass die Prälaten glühende Verehrer der schönen Künste sind. Ihr müsst bedenken, dass Eure Kundschaft durch sie nur an Qualität gewinnen kann, junger Mann. Die Geistlichen sind die Quelle Eures Reichtums. Habt Ihr schon Kunden unter ihnen?«
»Nein, Monsieur, bisher nur Kardinal de Villiers. Aber ich arbeite viel für die Schlossherren von Tours und Umgebung, die sehr gern die Wände ihrer Landsitze mit Teppichen schmücken.«
»Niemand aus dem Hochadel?«
Jacquou zögerte, da er aber vermutlich kein zweites Mal die Gelegenheit haben würde, den König zu treffen, antwortete er schüchtern:
»Meine Frau hat vor einigen Jahren die Comtesse d’Angoulême kennengelernt. Sie sind mittlerweile sehr gut befreundet, und die Comtesse hat sie immer wieder ihrer Treue versichert. Leider ist sie aber gegenwärtig nicht vermögend genug, um so eine große Bestellung in Auftrag zu geben. Vielleicht kommt es eines Tages dazu.«
»Nun gut, ich werde mich um die Angelegenheit kümmern. Sobald ich im Val de Loire zurück bin, lade ich Euch zu einer Unterredung ein, damit wir ausführlich über einen möglichen Auftrag sprechen können.«
Während die Italienfeldzüge weitergingen und der König von ruhmreichen Siegen träumte, die er nie erringen sollte, war Jacquou Jean nach Rom gefolgt.
Der junge Weber kannte bisher nur die Bretagne und das Val de Loire und war sprachlos vor Staunen über so viel Schönheit an einem Ort. Schon Florenz und seine Madonnen hatten ihn verführt. Aber Rom mit seinem geschäftigen Treiben, seinen Farben, Hügeln und Straßen und seinen Künstlern begeisterte ihn restlos. Im Vatikan offenbarte sich ihm mit einem Mal wahre Kunst. Jedes einzelne Kunstwerk erschien ihm grandios und wunderbar - von der Sixtinischen Kapelle bis hin zu den einfachen Fluren mit bemaltem Holzgetäfel und prächtigen Gemälden. Wie gerne hätte er Alix bei sich gehabt, um die Freude mit ihr zu teilen.
Jacquou ließ Van Orley bei einem seiner Malerfreunde und besuchte Jean in seiner Wohnung. Das Arbeitszimmer war sehr geräumig, Empfangszimmer und Salon strotzten nur so vor Luxus. Wie alle Kardinäle im
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