Die Seilschaft
stand eine Frau, Mitte vierzig, in einem hellen, apricotfarbenen Kostüm, die braunen Haare hochgesteckt und auf der Nase eine Lesebrille. In der Hand hielt sie mehrere Akten. Die Frau kam ihm bekannt vor.
«Ute Mayer», sagte sie und reichte ihm die Hand.
Er erwiderte den Gruß. «Johannes Kilian, Kripo Würzburg.»
«Ich weiß», antwortete sie.
«Woher?»
«Herr Klein hat sie angekündigt.»
«Dann arbeiten Sie mit Herrn Landauer zusammen?»
Sie zwang sich zu einem Lächeln. «Wir alle arbeiten hier zusammen. Auf die eine oder andere Art. Kommen Sie, er erwartet Sie bereits.»
Sie ging voran, Kilian folgte ihr.
Woher kannte er sie nur? Dieses Gesicht hatte er doch schon oft gesehen. Jetzt fiel es ihm ein. Natürlich, das war doch die frühere Ministerin für … Er biss sich auf die Lippen. Wofür nochmal?
Die Minister waren seit der historischen Wahlkampfschlappe der Partei vor vier Jahren so schnell ausgewechselt worden, dass man kaum Zeit hatte, sich die neuen Gesichter einzuprägen.
Im Fall Ute Mayers, die das Ministeramt gerade mal zwei Jahre innegehabt hatte, hätte es ihm eigentlich nicht so schwerfallen sollen – sie kam aus Würzburg.
«Wie geht es Ihrem Herrn Klein?», fragte sie. «Golft er immer noch so gern?»
Klein und golfen?, fragte sich Kilian. Davon hatte er noch nie gehört. Kaum zu glauben, dass sich Klein mit einem Caddie über den Golfplatz schob. Er stellte sich ihn weitausbodenständiger vor: Schoppen trinken, gut Essen gehen und anschließend in heiterer Runde zusammensitzen.
«Ich muss gestehen, ich bin über die Freizeitbeschäftigung meines Chefs nicht informiert.»
«Das sollten Sie aber.» Sie lächelte ihn an. «Karrieren werden nicht im Dienst geschmiedet.»
Kilian seufzte. Seitdem er das LKA verlassen hatte und nach Würzburg zwangsversetzt worden war, hatte seine Karriere ein abruptes Ende erfahren. Und außerdem: In einer Woche würde ohnehin eine andere starten – die eines stolzen Vaters.
Er kehrte wieder zum Smalltalk zurück. «Sind Sie noch oft in der alten Heimat?»
«Wann immer es sich einrichten lässt. Würzburg ist mit nichts anderem zu vergleichen. Man lernt das erst zu schätzen, wenn man nicht mehr dort ist. Der Wein, das Essen, Mozart, die Residenz … Sie wissen schon.»
«Das heißt, Sie leben jetzt in München?»
Sie nickte. «Einhundert Quadratmeter mit Balkon im Lehel. So habe ich es nicht weit in die Kanzlei.»
Diese Wohnung dürfte ein Vermögen kosten, dachte Kilian.
«Und was machen Sie jetzt, wenn ich fragen darf?»
Sie stutzte. «Was meinen Sie?»
«Nach Ihrer Zeit als Ministerin.»
Der Stachel ihrer schmachvollen Entlassung aus dem Ministeramt, der einem Rauswurf gleichgekommen war, schien noch tief zu sitzen. Sie spielte die Gelassene.
«Als Ministerin hat man kaum die Möglichkeit, wirklich etwas zu bewirken. Viele Kompromisse müssen geschlossen werden, die die eigentliche Arbeit verwässern, manchmal sogar unmöglich machen. Jetzt bereite ich die Entscheidungen vor. Das hat Hand und Fuß. Und außerdem: Ich habe ja noch mein Landtagsmandat.»
Sie waren an der Tür zu Landauers Büro angekommen. Unverlangt reichte sie ihm ihre Visitenkarte.
«Wenn Sie mal Hilfe benötigen, zögern Sie nicht, mich anzurufen.»
Kilian nahm sie dankend an. Dieser Fall könnte schon bald eintreten, je nachdem, wie das anstehende Gespräch verlief.
«Noch ein Rat», sagte sie, bevor sie ihn allein ließ. «Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Alles, was Sie in der nächsten Zeit herausfinden werden, trifft zu.»
Dann wandte sie sich ab und stöckelte den langen Gang weiter, bis sie durch eine der Türen verschwand.
Eine seltsame Frau, dachte er. Unbekannt und doch irgendwie vertraut. Was hatte sie mit dem Bockshorn gemeint, und was wusste sie von seinem Auftrag?
«Herein», antwortete die Stimme hinter der Tür auf sein Klopfen, und Kilian folgte der Aufforderung. Er traf auf die Vorzimmerdame. Sie winkte ihn an ihrem Schreibtisch vorbei.
«Herr Landauer erwartet Sie. Gehen Sie durch.»
Er schaute durch eine offenstehende Tür in einen langgestreckten, großen Raum hinein, der von viel Licht aus den umlaufenden Fenstern erhellt wurde. Am Schreibtisch saß ein Mann mit schütterem Haar über die Arbeit gebeugt, als läge alle Last im Freistaat auf seinen Schultern.
Kilian klopfte anstandshalber an den Türrahmen. Der Mann blickte auf. Seine müden Züge formten sich zu einem Lächeln. «Herr Kilian», rief er ihm zu.
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