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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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die Nachahmung
     so beharrlich ans Überleben klammerte. Das Original war
     wahrscheinlich von A bis Z umgeschrieben worden, wie bei ›Romeo und
     Juliette‹ aus der gleichen Zeit, wo die Liebenden am Ende gerade
     rechtzeitig aufwachen, um miteinander glücklich zu werden. Im
     achtzehnten Jahrhundert liebte man rosige Geschichten, mit einem
     ordentlichen Aufbau, höflicher Sprache und Happy End, und so gab es
     jede Menge Bedarf für Shakespeare-Bearbeitungen. Trotzdem wollte ich
     mir die Adaption ansehen, sobald ich die Möglichkeit dazu fand.
     Vielleicht versteckten sich unter all dem Kitsch doch noch ein paar echte
     Shakespeare-Verse. Allerdings bräuchte ich eine gut sortierte
     Bibliothek, um den Text zu finden.
    Zu schade, dass ich in
     Harvard keine Zeit gehabt hatte, den Chambers-Eintrag zu Ende zu lesen.
     Wahrscheinlich hatte Ros sogar eine Ausgabe von ›Dopelte Falschheit‹
     in ihrem Büro; die Houghton-Bibliothek hortete bestimmt mindestens
     zwei oder drei davon in ihren Verliesen. Fürs Erste würde
     es aber warten müssen. In der Zwischenzeit konnte ich dort anfangen,
     wo auch Shakespeare angefangen hatte. Bei Cervantes.
    Und so holte ich mein neues
     Exemplar von ›Don Quixote‹ heraus und begann zu lesen.
    *
    Ein paar Stunden, zweihundert
     überflogene Seiten und drei Servietten voller Anmerkungen später
     hatte ich die Geschichte von Cardenio einigermaßen aus dem
     Hauptstrang des ›Quixote‹ herausgelöst. Cervantes war
     ein Meister und ein Zauberer des Erzählens. Im ›Don Quixote‹
     tauchten Erzählstränge auf und ab und wieder auf wie weiße
     Hasen aus Zylindern.
    Am Ende hatte ich ein Dreieck
     vor mir: eine Ménage à trois, die simple Geometrie der auf
     die Probe gestellten Liebe. Der Liebende, die Geliebte und der Freund, der
     zum Verräter wird. Die gleiche Architektur hatte Shakespeare schon
     vor langer Zeit verwendet, in ›Zwei Herren aus Verona‹,
     einem seiner frühesten Dramen.
    Doch ›Zwei Herren aus
     Verona‹ - ein Stück über eine Freundschaft, die wegen der
     Liebe einer Frau zerbricht - war nur der Auftakt. Als ich Cervantes’
     Legende von Cardenio las, hatte ich das Gefühl, ich würde
     Shakespeares gesammelte Werke durch ein Kaleidoskop betrachten. In einer
     einzigen komplizierten Geschichte waren viele der großen Augenblicke
     versammelt, die die einzelnen Stücke so denkwürdig machten. Eine
     Tochter wird von ihrem Vater zur Hochzeit mit einem verhassten Mann
     gezwungen: »Und bist du mein, so soll mein Freund dich haben; wo
     nicht, so geh, bettle, hungre, stirb am Wege! Denn nie, bei meiner Seel’,
     erkenn ich dich.« Eine zerbrochene Ehe und eine Frau, die schlechter
     behandelt wird als ein Hund und doch loyal bleibt, doch noch liebt. Eine
     verlorene Tochter - »Meine Tochter. O meine Dukaten!« - und
     eine gefundene Tochter. Ein Wald voller Liebesgedichte und ein Mann, der
     von Musik verfolgt wird: »Voll Tön’ und süßer
     Lieder, die ergötzen und niemand Schaden tun … dass ich beim
     Erwachen aufs neu zu träumen heulte.«
    Kein Wunder, dass sich
     Shakespeare Cardenio zu eigen gemacht hatte, als die Sonne seiner Tage
     schwächer wurde. Er musste sich wie zu Hause gefühlt haben.
    Schläfrige Wehmut erfüllte
     mich, als das Flugzeug mit einem Ruck auf dem Boden aufsetzte. Ich schob
     die vollgeschriebenen Servietten in das Buch und verstaute es in der
     Tasche. Weniger gut gelang es mir, meine Nervosität
     beiseitezuschieben. Ben gähnte, dann streckte er sich und setzte sich
     auf. Ein paar Minuten später folgte ich ihm mit klopfendem Herzen ins
     Terminal.
    Keiner beachtete uns. Die
     Polizisten nicht und auch sonst niemand. Unsere Verkleidung, die in Boston
     so auffällig war, war in Las Vegas Tarnkluft.
    Bens Trick funktionierte. Wir
     mischten uns unter die Menge, die sich unter gewölbeartigen
     Spiegeldecken die Gänge entlangschob, und passierten riesige Leinwände,
     auf denen Showgirls und Pokerprofis ihren Auftritt hatten.
    In der Tiefgarage holten wir
     einen unauffälligen beigefarbenen Chevy ab - gemietet unter einem
     Namen, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit Benjamin Pearl hatte,
     zu dem aber dafür verschiedene Kreditkarten und ein Führerschein
     passten, die Ben aus der Brieftasche zauberte. Dann fuhren wir hinaus in
     die Mojave-Wüste.

 
    18
    Im Norden hingen über
     einer gezackten Bergkette violette Wolken am Himmel. So weit das Auge
     reichte, war die Wüste mit niedrigen

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