Die sieben Weltwunder
Stufen, über dem sich ein recht hoher Bauteil, der eigentliche Unterbau, erhob, der zwei übereinanderstehenden, je 117 Meter langen Friesen Raum gab, während ein dritter Fries die Wände der Cella nach oben hin abschloss. Auf dem Unterbau waren sechsunddreißig ionische Säulen so angeordnet, dass auf den Schmalseiten je neun und auf den Längsseiten je elf Säulen standen. Sie umkränzten die Cella, die vermutlich von steinernen Löwen, die zwischen den Säulen standen, bewacht wurde.
Auf den Säulen und den sie bekrönenden Architraven lag die vierundzwanzigstufige Dachpyramide (für jedes Regierungsjahr Maussolos’ eine Stufe!) mit den in regelmäßigen Abständen angebrachten löwenköpfigen Wasserspeiern. Das Dach lief jedoch nicht in einer Spitze zusammen, sondern gipfelte – neun Meter hoch über dem Steingebälk – in einer Plattform, auf die eine fünf Meter hohe Quadriga aus Marmor gestellt wurde: bestehend aus vier lebensgroßen Pferden, dem Wagen und zwei darin stehenden Figuren – Maussolos und Artemisia. Als Sohn des Helios fährt der König im Sonnenwagen zum Himmel auf. Der Geschichtsschreiber Plinius schreibt dieses Werk dem Bildhauer Bryaxis zu.
Der Aufbau des Tempels war nach dem Gesetz des Goldenen Schnittes gegliedert, und die einzelnen Teile waren nach den gültigen Zahlen dieses Gesetzes ineinander verflochten.
Wie bereits erwähnt und wie einzelne Fundstücke zeigen, waren an den marmornen Reliefs, die Tempelsockel und Dachgebälk umgaben, bewegte Szenen ausgemeißelt: der Kampf mit Amazonen und Zentauren, Wettstreit und Wagenrennen. Der große Praxiteles soll auch hier, wie in Ephesos, mitgewirkt haben (man hat ihm die Südseite zugeschrieben). Pytheos, der auch am Gesamtentwurf beteiligt war, wird als Künstler der Quadriga genannt.
Das Mausoleum mit seinem dreistufigen Aufbau.
(Rekonstruktion von H. W. Law)
Wie der Grabtempel innen ausgestattet war, darüber ist zuverlässig nichts berichtet. Wahrscheinlich stand der prunkvolle Sarg, umgeben von kostbaren Plastiken, wie üblich in der Mitte der Cella.
D IE B EWUNDERER
Alten Berichten zufolge soll der Gedächtnis-Tempel des Maussolos einen traumhaft leichten Eindruck gemacht haben – er sei über dem hohen massigen Sockel »geschwebt« – ein Eindruck, der sicherlich von der immensen Höhe, in welcher der Grabtempel stand, hervorgerufen wurde. Auch Cicero hat das Grabmal in Halikarnassos als »erhaben« bezeichnet. In Lukians »Totengesprächen« heißt es darüber: »Kein anderes kommt ihm gleich, weder an Größe noch an Schönheit. Es prangt mit den vollendetsten Kunstwerken, den Bildern von Mensch und Pferden aus schönstem Marmor.«
Bewunderer der Größe und Schönheit dieses Bauwerks gab es also genug. Diogenes Laertius überlieferte uns, mit welchem Enthusiasmus auch Anaxagoras, der zur Zeit des Perikles lebte, das Grabmal betrachtet habe. Anaxagoras hatte aus Athen fliehen müssen – er hatte behauptet, die Sonne sei ein Feuerball, größer als der Peloponnes, die südliche Halbinsel Griechenlands. Das war für die Zeitgenossen so unvorstellbar, dass es ihnen wie eine Verhöhnung der Götter und des gesunden Menschenverstands erschien. Anaxagoras jedenfalls, ein Mann von überragendem Vorstellungsvermögen, soll lange vor dem Tempel des Maussolos gestanden und darüber meditiert haben, was ein Grabmal im Fluss der Zeit bedeuten könne. Eustathios von Thessaloniki schließlich, der den Tempel im 12. Jahrhundert noch gesehen haben will, reichte ein einziger Satz: »Es war und es ist ein Wunder.«
D AS E NDE DES M AUSOLEUMS
Nach der Eroberung durch Alexander hatte Halikarnassos noch manchen Angriff zu überstehen, wurde die Stadt mehrfach dem Erdboden gleichgemacht und wieder aufgebaut. Als römische Provinz fiel auf die Stadt noch ein letzter Glanz. Das Mausoleum blieb von allen Wirren völlig unberührt und stand wie ein erratisches Denkmal, ein Relikt, das an Kariens glanzvollste Zeit erinnerte, hoch über der Stadt. Noch im 12. Jahrhundert n. Chr. soll es – wie soeben gesagt – noch unversehrt bestanden haben. Wann der Verfall einsetzte, lässt sich nicht bestimmen. Wahrscheinlich hat ein Erdbeben zuerst den oberen Teil des Monuments zum Einsturz gebracht. Vom 13. Jahrhundert an ist Halikarnassos mehrmals durch Erdbeben erschüttert worden.
Der Franzose Claude Guichard berichtet 1581, dass die Ritter des Johanniterordens »eines der Sieben Weltwunder zerstörten, das alle Barbarenstürme überdauert hatte«.
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