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Die Sonnwendherrin

Titel: Die Sonnwendherrin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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viele hungrige Mäuler zu stopfen hatte. Oder wenn ein Mädchen ein wenig zu leichtsinnig bei gewissen Spielchen gewesen war und sich damit die Aussicht auf eine vermögende Heirat verderben würde.
    Aber dann war dieses »immer willkommen« hinfällig, und damit die Antwort selbst. So verwirrend alles erschien, wusste Iwan doch, dass die Antwort mit allen Teilen des Rätsels übereinstimmen musste.
    Natürlich nur dann, wenn Leschy sich an die eigenen Regeln hielt. Der Wolf zweifelte nicht daran. Doch wenn er die wechselnden Launen in Leschys Gesicht in Betracht zog, war es leicht, ein falsches Spiel bei dem Waldgeist zu vermuten.
    »Ich friere hier so langsam an, Junge«, beklagte sich dieser. Er sah zu einer nahe gelegenen Schlammpfütze hinüber. Einen Augenblick später begann die ruhige Oberfläche der |52| Pfütze zu dampfen. Iwan schnappte nach Luft, und da kochte das Sumpfwasser bereits wie Suppe in einem Topf. Der blasse Körper eines toten Frosches trieb hoch an die Oberfläche und wirbelte zurück nach unten.
    Konzentriere dich! ,
sagte sich Iwan eindringlich. »Er wird alles Mögliche versuchen, um dich abzulenken«, hatte der Wolf gesagt. »Lass es nicht dazu kommen! Auf diese Weise gewinnt er sein Spiel!«
    Leschy blickte weg, und das Wasser beruhigte sich langsam wieder. Ein schwacher Geruch nach Fischsuppe lag in der Luft, überlagert von dem betörenden Duft nach wildem Rosmarin an einem heißen Sommertag.
    »Ich verstehe es nicht, Junge«, sagte Leschy. »Warum wehrst du dich so sehr gegen dein Schicksal? Es ist so nett und gemütlich hier im Moor. Wir freuen uns alle darauf, mit einem süßen Burschen wie dir zu spielen
...
Du spielst doch gern, oder?«
    Er saß auf dem Birkenstamm neben Iwan und rückte nun ein Stückchen näher an ihn heran. Die Kälte, die kurz zuvor von ihm ausgegangen war, war nicht mehr zu spüren. Stattdessen roch Iwan ganz schwach den Duft von Pfaffenhütchen-Beeren – blumig und bitter zugleich. Ebenfalls roch es schwach nach abgestandenem Wasser, was den Beerenduft ein wenig muffig erscheinen ließ, aber Iwan war nicht in der Lage festzustellen, ob der Geruch von Leschy ausging oder von dem Sumpf in ihrer Umgebung.
    Er bemühte sich nach Kräften, den alten Mann zu ignorieren und sich auf das Rätsel zu konzentrieren.
    Was war es, das jeder willkommen hieß und das dennoch einige hassten wie die Pest? Was war es, das man mit aller Kraft festzuhalten versuchte, wenn es entschlüpfen wollte?
    Liebe?
    Ja, das lag nahe.
    »Noch nicht fertig?«, fragte Leschy.
    |53| Beinahe hätte Iwan seine Lösung hinausposaunt, aber irgendetwas hinderte ihn daran.
Denk noch weiter nach
, sagte er sich.
Du hast nur diese eine Chance.
    »Ach, komm schon!«, sagte Leschy. »Warum bist du bloß ein solcher Langeweiler? Die Nacht hier draußen ist so schön! Wenn du das einmal erlebst, willst du nie mehr von hier weg!«
    Er blickte in die Runde, und mit einem Mal war die Luft voller Glühwürmchen. Aus der Nähe wirkten sie wie kleine Elfen, die in den zarten Händen winzige Laternen trugen. Es wurde taghell. Iwan bildete sich ein, in den transparenten Flügeln Regenbögen schimmern zu sehen.
    »Siehst du?«, fragte Leschy dicht neben seinem Ohr. Er war so nahe, dass Iwan vor Schreck zusammenfuhr. Er unterdrückte den Impuls, von Leschy abzurücken.
    Der Waldgeist streckte einen Finger an Iwans Gesicht vorbei und stupste die nächste der fliegenden Gestalten an. Mit einem schwachen Knall zerplatzte sie und hinterließ einen winzigen Spritzer Schmiere an Iwans Hand.
    Dieser nahm all seinen Mut zusammen und hielt still, während die hübschen Elfengestalten um ihn herum allesamt platzten und hässliche rote Flecke hinterließen, die ein wenig wie Blut aussahen.
    Der Lichtschein verblasste.
    »Aaaah«, seufzte Leschy. »Das könnte ich die ganze Nacht lang machen. Diese Irrlichterchen machen so viel Spaß. Findest du nicht auch?« Er wandte sich zu Iwan um und grinste ihn spitzbübisch an. »Jetzt fertig?«, fragte er.
    Iwan schluckte. Er hatte das Rätsel beinahe vergessen. Dabei hatte ihn der Wolf so davor gewarnt. Dennoch war es schwierig gewesen
... Denk nach! Konzentriere dich!
    War »Liebe« die Lösung des Rätsels?
    Liebe war sicherlich ein Gefühl, das jeder willkommen hieß und schätzte, und von Zeit zu Zeit brachte sie gewiss |54| auch mehr Schmerz als Glück. Doch Iwans Beobachtungen nach entschlüpfte sie nicht einfach. Wahre Liebe war das Dauerhafteste, was er kannte. Nur die Zeit

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