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Die Sprache des Feuers - Roman

Die Sprache des Feuers - Roman

Titel: Die Sprache des Feuers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sich mit anderen zusammen, kauft ein altes Mietshaus und saniert es, verkauft es mit Gewinn, kauft das nächste – und so weiter. Jetzt hat er eine ganze Armadavon Taxis, zwei Gebrauchtwagenmärkte und sein Ersatzteilgeschäft.
    Und Geld genug, eine ganze Wohnlage in Newport Beach aufzukaufen. Er macht gehobene Eigentumswohnungen daraus und verdient ein Vermögen. Setzt es gleich wieder für das nächste Sanierungsprojekt ein. Und schon steckt er mittendrin im überhitzten Immobilienmarkt der achtziger Jahre. Verkauft manchmal seine Erwerbungen noch am selben Tag weiter. Steigt ins Baugeschäft ein, kauft Land und setzt Townhouses, Eigentumswohnungen, Country Clubs drauf.
    Orange County boomt, und Nicky boomt mit.
    »Ihr Amis habt nur ein Problem«, sagt Nicky. »Ihr wisst nicht, wie gut es euch geht. Jedesmal, wenn ein Amerikaner über sein Land meckert, muss ich lachen.«
    Seine Geschäfte blühen und gedeihen so prächtig, dass er sich ein Hobby leistet.
    Die Kunst.
    Malerei, Bildhauerei, alte Möbel.
    Alte Möbel insbesondere.
    »Es ist, um eine abgedroschene Phrase zu bemühen, die handwerkliche Meisterschaft«, sagt Nicky. »Damals legte man noch Wert auf Qualität. Die Qualität des Holzes, der Verarbeitung. Sorgfalt bis ins kleinste Detail und Sinn für die Ästhetik des Ganzen. Möbel mussten praktisch sein, haltbar und schön. Das Zeug wurde nicht einfach zusammengeschustert, um bei nächster Gelegenheit auf dem Müll oder beim Trödel zu landen.
    Und Holz ist ein ganz besonderer Stoff, nicht wahr? Sie wissen doch, was ich meine, Jack. Wird ein schöner Baum geopfert, sollte wenigstens etwas Schönes draus geschaffen werden. Erlesene Dinge aus feinstem Walnuss und Mahagoni. Und wenn man sie jeden Tag benutzt – einen Stuhl, einen Schrank, ein Bett –, dann entwickelt man eine Beziehung zu dem Holz, auch zum Erzeuger des Gegenstands. Man wird Teil des historischen Kontinuums. Können Sie mir folgen, Jack?«
    »Ja.«
    Und ob er das kann. Warum sonst verbringt er seine halbe Freizeit mit dem Abschmirgeln alter Longboards aus Holz?
    »Als ich es mir leisten konnte«, sagte Nicky, »verfiel ich meiner Leidenschaft. Ich kaufte alte englische Möbel. Manche zum Weiterverkauf, aber die meisten für mein Haus. Um einen Raum zu schaffen, der meine Seele befriedigt. Das ist meine Geschichte, Jack. Russischer Jude arbeitet sich vom kalifornischen Taxifahrer zum englischen Gentleman hoch. Aber nur in Amerika, nur in Kalifornien.«
    »Warum nur in Kalifornien?«
    »Das wissen Sie doch!« Nicky lacht. »Kalifornien ist wirklich das Land der Träume. Deshalb kommen die Menschen doch her. Sie sagen, es ist das Wetter, aber es ist die Atmosphäre, wenn Sie so wollen. In Kalifornien sind Sie losgelöst von Raum und Zeit. Sie können die Fesseln der Geschichte abwerfen, der Nationalität, der Kultur. Sie können sich von allem befreien, was Sie sind, und werden, was Sie sein wollen . Was immer Sie sein wollen. Niemand wird Sie aufhalten, niemand wird Sie verspotten, kritisieren – weil es die anderen genauso machen. Alle atmen sie dieselbe Luft, aber jeder auf seiner eigenen Wolke. Jeder schwebt, wie er will und wohin er will. Die Wolken begegnen sich, treiben auseinander und begegnen sich wieder. Dein Leben ist, wie du es haben willst. Wie eine Wolke. Es ist, was du dir erträumt hast.«
    Nicky merkt, dass er ins Schwärmen geraten ist, und lacht.
    »Also«, sagt er, »wenn ein russischer Jude die Sonne und die Freiheit und den Ozean und die Strände liebt und außerdem ein englischer Gentleman sein will, dann braucht er nur nach Kalifornien zu gehen, sein Haus mit teuren Möbeln vollzustopfen und sich seine eigene Realität zu schaffen ... und die Möbel sind nun alle verbrannt. Im Feuer untergegangen.«
    Ganz zu schweigen von deiner Frau, denkt Jack.
    Die erwähnt er tatsächlich nicht.
    »Im Feuer untergegangen«, sagt Jack. »Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber sagen Sie mir doch bitte, wo Sie in der Nacht waren.«
    Wo wir doch so nett miteinander plaudern.

21
    »Hier«, sagt Nicky. Ganz einfach.
    »Ich war hier.«
    Und zieht schicksalsergeben die Schultern hoch.
    »Und die Kinder waren auch hier, Gott sei Dank«, sagt Mutter.
    »Wann haben Sie die Kinder abgeholt?«
    »Gegen drei Uhr«, sagt Nicky.
    »War das die übliche Zeit?«
    »Es gab keine übliche Zeit«, sagt Nicky. »Mal früher, mal später am Nachmittag.«
    »Und Sie waren ab drei hier?«
    »Nein«, sagt Nicky. »Wir sind gegen sechs oder halb

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