Die Spur der Füchse
Herbert seinen Job und wurde zu einem professionellen »Ohrwurm«, wie die Zeitungen seinesgleichen nannten.
»… du solltest mir jetzt lieber die Beschreibung geben …«
Nachdem Herbert mehrere Tage als Vollzeit-Ohrwurm an seinem Hochleistungsempfänger gearbeitet hatte, besuchte ihn der stellvertretende Chef der Post -Nachrichtenredaktion zu Hause – damals wohnte Herbert noch nicht in dem Studio-Apartment – und führte ein Gespräch mit ihm. Der Mann sagte, daß Herberts Arbeit von großem Nutzen für die Zeitung sei, und ob er Interesse habe, ausschließlich für »sein Blatt« zu arbeiten. Das würde bedeuten, daß Herbert seine Informationen nur noch an die Post liefern dürfe, an keine andere Zeitung. Selbstverständlich würde er einen wöchentlichen Vorschuß erhalten, um seinen Einkommensverlust auszugleichen. Wie gesagt, war Herbert kein Dummkopf; deshalb verlor er natürlich kein Wort darüber, daß er bis dahin noch gar keine andere Zeitung angerufen hatte. Großzügig nahm er das Angebot an.
»… halten Sie die Stellung. In ein paar Minuten schikken wir Ihnen Unterstützung …«
Im Laufe der Jahre hatte Herbert sowohl seine Geräte als auch seine Kenntnisse darüber verbessert, auf welche Informationen die Zeitung scharf war. Herbert machte die Erfahrung, daß die Reporter am Morgen für praktisch alle Informationen dankbar waren; erst im Laufe des Tages wurden sie wählerischer und anspruchsvoller. Ab etwa fünfzehn Uhr mußte schon ein Mord auf offener Straße oder ein spektakulärer Raubüberfall geschehen, am besten mit Gewaltanwendung oder Geiselnahme, um das Interesse der Reporter zu erregen. Außerdem erkannte Herbert, daß die Zeitung – genau wie die Polizei – sich sehr viel weniger für Verbrechen interessierte, die an Farbigen in einer von Farbigen bewohnten Gegend begangen wurden. Nach Herberts Dafürhalten war das ganz normal, denn wie jeden Leser der Evening Post interessierte es ihn nicht besonders, ob die Nigger sich in ihren Londoner Wohnvierteln gegenseitig die Schädel einschlugen. Herbert vermutete – vollkommen zutreffend –, daß auch die Post sich schlicht und einfach deshalb nicht für solche Vorfälle interessierte, weil Leute wie Herbert, die die Post kauften, sich auch nicht dafür interessierten.
Herbert entwickelte nach und nach die Fähigkeit, gewissermaßen zwischen den Zeilen des Polizeifunk-Jargons zu lesen. Er wußte, wann ein »tätlicher Angriff« sich als häusliche Streiterei erwies; er konnte den Unterton der Dringlichkeit in der Stimme der diensthabenden Beamten in der Funkzentrale heraushören – zum Beispiel, wenn die Aufforderung zur Unterstützung eines Kollegen einen verzweifelten Beiklang besaß; er entdeckte, wie man alle störenden Gedanken aussperren konnte, wenn die Polizei über Funk eine lange Liste der Kennzeichen gestohlener Autos durchgab.
Aus dem großen Lautsprecher drang das Klingeln von Herberts Wecker – das Zeichen, daß die Sieben-StundenSpule abgelaufen war. Herbert stellte das Tonband ab. Dann drehte er die Lautstärke des Radios höher und wählte die Nummer der Post . Er nippte an seinem Tee, als er darauf wartete, daß der Hörer abgenommen wurde.
» Post , ‘n Morgen.« Es war eine Männerstimme.
»Die Nachrichten-Direktannahme, bitte«, sagte Herbert. Wieder trat eine Pause ein.
»Nachrichten-Direktannahme.«
»Hallo. Hier Chieseman. Es ist jetzt … null sieben neunundfünfzig Uhr.«
Im Hintergrund war das Klappern von Schreibmaschinen zu hören. »Hallo, Bertie. Hat sich was getan?«
»Scheint ‘ne ruhige Nacht gewesen zu sein«, sagte Herbert.
08.00 UHR
7
Tony Cox stand in einer Telefonzelle an der Quill Street im Stadtteil Bethnal Green und hatte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt. Er schwitzte in seinem warmen Mantel mit dem Samtkragen. In der Hand hielt er das eine Ende einer Kette, das andere Ende war am Halsband eines Hundes befestigt, der draußen vor dem Telefonhäuschen stand. Auch der Hund schwitzte.
Der Hörer am anderen Ende der Leitung wurde abgehoben, und Tony schob eine Münze in den Schlitz.
Eine Stimme sagte: »Ja?« Der Tonfall ließ darauf schließen, daß die Stimme jemandem gehörte, der sich noch nicht so recht an diese neumodischen Telefone gewöhnt hatte.
»Die Sache steigt heute«, sagte Tony hastig. »Bereite alles vor.« Dann hängte er ein, ohne seinen Namen zu nennen oder eine Antwort abzuwarten.
Er schlenderte über den schmalen Bürgersteig und zog den
Weitere Kostenlose Bücher