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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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nicht, schrie nicht. Die Worte lagen irgendwo dazwischen.
    »Wow, Baby, das ist gut, das ist wirklich gut«, erklärte Jake und sah Janis an. »Sie kannte dich nicht, bis die Brille ab war.«
    »Bleibe ich bei Big Brother?«, fragte sie.
    Mira lachte beinahe. »Du bist Big Brother.«
    »Das weiß ich. Aber steige ich je aus?«
    »Ja, Ende dieses Jahres spielst du dein letztes Konzert mit ihnen.« Diese Tatsache wusste sie von Annie, einer Expertin für Joplin, nachdem sie in amerikanischer Geschichte ein Referat über sie geschrieben hatte.
    Inwiefern ist Janis Joplin Teil der amerikanischen Geschichte?, hatte ihr Lehrer gefragt.
    Inwiefern denn bitte nicht?, hatte Annie entgegnet.
    »Im August wird die Veröffentlichung eines Albums namens Cheap Thrills deine Karriere festigen.«
    »Nicht allzu viele Leute außerhalb von Columbia Records kennen den Titel«, sagte die Frau.
    »Wenigstens zwei der Lieder auf dem Album werden Klassiker, die Menschen bis ins 21. Jahrhundert hören werden.«
    Janis strahlte. »Welche?«
    Mira fiel auf, dass Jake entgeistert zu sein schien über die Präzision der Voraussagen, also schraubte sie es etwas zurück. »Eines über das Herz, ein anderes über Sommer.«
    »Das wären ›Pieces of my Heart‹ und ›Summertime‹.«
    »Das Album steigt an die Spitze der Charts und bringt einen unerwarteten Geldsegen mit sich, aber auch Drogen. Die Spannung innerhalb der Band nimmt zu. Bei einem Musikfestival Ende August wirst du ankündigen, Big Brother zu verlassen.«
    »Verdammt«, flüsterte sie. »All das kannst du aus meiner Hand lesen?«
    Nein, ich betrüge. Ich lese das aus Annies Geschichtsreferat. »Wenn du nicht mit dem Heroin aufhörst, wirst du nicht lange genug leben, um deine Karriere zu genießen.«
    Es platzte aus ihr heraus, das hatte sie nicht gewollt. Niemals in einer Million Jahren würde sie mit einem Klienten über den Tod sprechen. Aber die Geschichte, die sie kannte, war in einer bestimmten Weise geschrieben, und vielleicht konnte sie, indem sie es aussprach, irgendetwas ändern, zumindest für diese Frau.
    »Ich nehme das Zeug nicht mehr«, sagte die Frau mit der Federboa, die in etwas über zwei Jahren an einer Überdosis Heroin sterben würde.
    »Sie ist schon eine Weile sauber«, setzte Jake hinzu.
    »Du trittst nächstes Jahr in der Dick-Cavett-Show auf. Er fragt dich, wen du dir ansiehst, wenn du wirklich gute Musik hören willst. Du erzählst ihm von einer Schwarzen. Tina irgendwas.«
    »Turner«, sagte Janis. »Tina Turner.«
    »Cavett hat noch nie von ihr gehört.«
    »Das passt. Ike ist der Bandleader, Tina ist die Show.« Sie dachte einen Augenblick nach, schaute auf den Tisch. »Was tue ich, nachdem ich bei Big Brother aussteige?«
    »Du gründest eine neue Band. Die widmet sich mehr dem Blues. Im Sommer 1969 spielst du auf einem Festival namens Woodstock. Es wird das berühmteste Festival des 20. Jahrhunderts. Im Herbst darauf veröffentlicht deine neue Band ein Album. Die Kritiken sind hier in den Staaten gemischt, aber in Europa lieben sie dich. Dein Drogen- und Alkoholkonsum nimmt dramatisch zu, und du entscheidest dich auszusteigen. Du gründest eine dritte Band und beginnst die Arbeit an einem Album namens Pearl. « Und wenn sie nicht sauber bleibt, dachte Mira, wird dieses Album erst nach ihrem Tod veröffentlicht werden. »Es ist ein Erfolg. Genau genommen werden die meisten deiner Platten mit Gold, Platin und Dreifach-Platin ausgezeichnet. Wenigstens zwei Filme werden über dein Leben gedreht werden.«
    »Das klingt, als ob ich sterbe.«
    »Wenn du nicht vollkommen mit dem Heroin aufhörst, stirbst du jung.«
    »Ich habe damit aufgehört.«
    »Aber die Sehnsucht ist noch da.«
    »Die Sehnsucht ist immer da.« Sie sprach leise, ihre Stimme rauchig und verträumt. »Heroin ist das Paradies. Die Welt wird ganz langsam. Man kommt an diesen unglaublichen Ort und will für immer dort bleiben. Aber, weißt du, es ist alles eine verdammte Scheißlüge, denn wenn man aufwacht, ist man in der Hölle. Das Leben um dich herum bricht zusammen. Also willst du mehr von dem Paradies und tust alles, um es zu erlangen.«
    Und dann wirst du dran glauben. Kaum dachte Mira das, öffneten sich zwei Wege vor ihr. Auf dem rechten Weg bewältigte Janis ihre Süchte und lebte bis in ihre Siebziger, sie wurde eine der größten Popkünstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Auf dem linken Weg entfaltete sich die Geschichte in Technicolor: Sie spritzte sich in einem Motelzimmer in L.A.

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