Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
sein.«
»Kommen die großen Geister zu jedem?«
»Jeder Mensch macht eine andere Erfahrung. Nicht jedem wird die Aufgabe gestellt, die See zu beobachten, doch du bist von diesem Element, deshalb war sie der richtige Ort für dich, um zu beginnen.« Sie reichte ihm eine Wasserflasche und ein Stück Käse, bevor sie den Weg zum Lager einschlug.
Nikolai trank dankbar einen großen Schluck und biss hungrig in den Käse. Adias Mitbringsel hielten ihn bei Kräften, bis er das Lager erreichte. Es war eine große Erleichterung, sich dort zu den anderen zu setzen und sich mit heißer Suppe aufzuwärmen.
Nach der erfolgreich beendeten Initiation waren die Priester entspannter, als Nikolai sie bisher gesehen hatten. Er hörte von ihnen, dass Vorräte von Santola herübergebracht worden waren. Unter ihnen waren auch ein paar kleine Trommeln, und Nikolai entdeckte, dass seine Finger ihre bei den Dahana erlernte Geschicklichkeit noch nicht verloren hatten.
Bei einem Ritual gegen Ende des Abends überreichte Adia ihm eine kleinere Ausgabe der ledernen Medizintasche, die er während der Initiation getragen hatte. Die ursprüngliche Tasche hatte ihn vor den Gefahren dieser Tortur schützen sollen, die kleinere dagegen sollte er von nun an immer tragen, als Erkennungszeichen des afrikanischen Blutes in seinen Adern.
Als Nikolai sich erschöpft, aber zufrieden in seine Decke wickelte, versuchte er es noch einmal mit der Stille - und verspürte für einen Moment die gleiche Wärme, die ihn bei der Berührung des Wesens aus der See durchflutet hatte. Sei still und wisse, dass ich Gott bin.
Da es keine Neuigkeiten von Nikolai gab, unterdrückte Jean ihre Unruhe und setzte ihre Arbeit fort. Gelegentlich glaubte sie, eine leise Berührung seiner Energie zu spüren, aber es war ein solch flüchtiges Gefühl, dass sie nicht sicher sein konnte, ob es nicht nur Einbildung war. Wann immer sie eine Regung Nikolais wahrnahm, hielt sie in ihrer Arbeit inne und sandte ihm Macht und Energie zu, für den Fall, dass er sie brauchte.
Sie hatte keine Ahnung, ob ihre Bemühungen hilfreich waren, doch ironischerweise verbesserte ihre Sorge ihre Fähigkeit, auf ihre Magie zuzugreifen und sie zu kanalisieren. Wenn sie sich die ganze Zeit um ihn sorgen müsste, würde sie zu einer erstklassigen Magierin werden.
Vierzehn Tage waren vergangen, als ihre Tür aufflog und Nikolai in ihr Zimmer stürmte, wo sie bei ihrem morgendlichen Tee saß. Sie sprang auf und vergaß in ihrer Freude fast, die Tasse abzustellen. »Du bist wieder da!«
»Bist du enttäuscht?« Lachend hob er sie in seine Arme und ließ sich zu einem langen, leidenschaftlichen Kuss mit ihr aufs Bett fallen.
Jean reagierte mit der gleichen überschwänglichen Begeisterung, wie berauscht von seinem Duft und seiner Kraft und seiner Wärme. Der Kuss war ein Ausdruck ihrer beider Freude und hatte nichts mit Sinneslust oder Abschiedsschmerz zu tun. »Ich sollte das nicht tun«, flüsterte sie trotzdem, bevor sie ihn aufs Neue küsste.
»Wahrscheinlich hast du recht.« Er zog die Nadeln aus ihrem Haar, um ihre dichten roten Locken zu befreien, und barg sein Gesicht in ihrer seidigen Fülle. »Dein Haar duftet nach Lavendel. Betörend«, murmelte er.
Es wäre so leicht, sich von dieser unbeschwerten Energie mitreißen zu lassen, aber Jeans innere Stimme sagte ihr klar und deutlich, dass dieser Moment noch nicht gekommen war. Sie schob ihre Hände in sein dichtes schwarzes Haar und betrachtete sein Gesicht. Dunkel und gefährlich würde er immer sein, doch er war jetzt ausgeglichener, als sie ihn je gesehen hatte. Anscheinend hatte er die verlorenen Teile seiner Seele wiedergefunden. »Die Initiation war erfolgreich«, sagte sie, und es war keine Frage.
»So ist es. Es war eine sehr interessante Erfahrung, aber keine, die ich gern wiederholen würde.« Nikolai beugte sich vor und strich mit seinen Lippen über ihren Nacken.
Ein wohliges Erschauern durchrieselte sie, und ein paar Herzschläge lang erlaubte sie sich, seine Zärtlichkeiten zu genießen, bevor sie sagte: »Und nun stehen wir auf und setzen uns auf Stühle, die in einiger Distanz zueinander stehen. Heute müssen wir miteinander reden, für Leidenschaft ist jetzt nicht der Moment.«
Jean dachte, Nikolai würde widersprechen, aber das tat er nicht, sondern setzte sich gehorsam auf. »Bedauerlicherweise hast du recht.« Mit nachdenklich verengten Augen betrachtete er sie. »Auch ich habe irgendwie das Gefühl, als müssten wir
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