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Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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ihm das Tablett ab, das außer einem Teller Porridge auch eine Kanne Tee und ein Stück Brot enthielt. »Hast du etwas Geld?«, fragte sie Nikolai.
    Er griff nach seiner Börse, aber der Nachtwächter winkte ab. »Nicht nötig. Der arme junge Teufel braucht ein bisschen Freundlichkeit. Es war gut von Ihnen, ihm zu helfen.« Peinlich berührt, so viel Weichheit offenbart zu haben, drehte er sich auf dem Absatz um und ging.
    »Für ihn ist Jonathan ein Mensch, kein Gegenstand«, sagte Jean leise. »Einstellungen verändert man nur Schritt für Schritt.«
    Jonathan stöhnte und öffnete die Augen. Jean kniete sich rasch neben ihn. »Mr. Strong, wir bringen Sie bald zu einem Arzt, aber zuerst müssen Sie etwas essen.«
    Die blutunterlaufenen Augen des Jungen richteten sich hoffnungsvoll auf den Teller in ihrer Hand. Sowie Nikolai ihm geholfen hatte, sich hinzusetzen, begann sie geduldig, kleine Mengen Porridge in den geschwollenen Mund des Jungen zu löffeln. Er aß wie jemand, der schon viel zu lange nichts Anständiges mehr bekommen hatte. Als der Teller halb geleert war, sagte er: »Ich kann das jetzt allein, Ma'am.«
    Jean gab ihm den Teller und schenkte dann Tee für alle drei ein. Es war eine wohlschmeckende, erfrischende Minzmischung. Jean teilte auch das Brot in drei Portionen, die sie zu ihrem Tee aßen. Jonathan war gestärkt genug, um seinen Teil des Brotes zu essen, obwohl er zusammenzuckte, als er hineinbiss. Als alle gegessen hatten, brachte Nikolai das Tablett mit dem Geschirr zur Küche des Gasthauses zurück.
    Sowie er wieder da war, half er Jonathan, sich zu erheben. Der Junge schrie vor Schmerzen auf, obwohl Nikolai ihm den größten Teil seines Gewichts abnahm. »Tut mir leid, Mr. Strong«, sagte er. »Bis zu der Praxis müssen Sie ein bisschen laufen. Oder möchten Sie, dass ich Sie trage?«
    »Nein«, keuchte Jonathan und unterdrückte seinen Schmerz. »Ich kann gehen.«
    Und das tat er, wenn auch nur dank Nikolais Hilfe. Er stützte den Jungen, indem er einen Arm um seine Taille legte, und Jean ging an Jonathans anderer Seite, falls er noch zusätzliche Unterstützung brauchen sollte. Der Weg, für den sie in der Nacht zuvor vielleicht fünf Minuten gebraucht hatten, nahm jetzt fast eine halbe Stunde in Anspruch, doch Jonathan schleppte sich mit einer Entschlossenheit voran, die Gutes für seine Genesung zu verheißen schien.
    Als sie die Mincing Lane erreichten, sahen sie eine kleine Schlange schäbig gekleideter Menschen vor William Sharps Praxis warten.
    Nikolai blieb stehen. »Das ist die Arztpraxis, Mr. Strong«, sagte er. »Stellen Sie sich zu den Leuten dort, dann wird Ihnen geholfen.«
    Der Junge blinzelte, um seine Tränen zu verdrängen. »Mich hat noch nie jemand Mr. Strong genannt.«
    »Von jetzt an werden sie es tun«, erklärte Jean entschieden. Sie nahm seine geschwollene Hand zwischen ihre und sah ihm in die Augen. »Sie werden wieder gesund, Mr. Strong, und dann werden Sie als freier Mann hier in London Arbeit finden. Aber vergessen Sie nicht die beiden Mr. Sharps. Falls Sie in Zukunft je wieder Probleme haben, lassen Sie es die Brüder wissen. Sie werden Ihnen beistehen.«
    »Ich werde daran denken, Ma'am.« Er straffte die Schultern und löste sich von Nikolais stützendem Arm. »Danke, dass Sie einem schwarzen Jungen geholfen haben, Sir, Ma'am. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal erleben würde.«
    »Sie verdienen die Hilfe und den Respekt, den wir alle einander schuldig sind«, erwiderte Jean ruhig. »Gehen Sie mit Gott, Mr. Strong.«
    Er nickte beiden höflich zu, bevor er sich abwandte und zu den Leuten hinüberhinkte, die vor der Praxis warteten. Obwohl alle in der Schlange krank sein mussten, war keiner so übel zugerichtet wie Jonathan. Jean biss sich auf die Lippe, als sie seine schwerfälligen Bewegungen sah. »Lass uns ein ruhiges Plätzchen suchen, wo wir zusehen können. Ich weiß, was Adia gesagt hat, doch ich möchte mit eigenen Augen sehen, ob sich wirklich jemand um ihn kümmert.«
    »Ich auch. Lass uns ein paar kleine Kuchen von diesem Straßenhändler kaufen.« Das Brot zum Tee war nicht genug gewesen, um den Tag zu beginnen, also würden sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Nikolai führte Jean zu dem Händler und kaufte noch einige warme, mit Zimt gewürzte Küchlein. Hinter dem Andrang der Kunden vor dem Stand verborgen, blieben sie an der Straße stehen und aßen ihr Gebäck.
    Nikolai schluckte gerade das letzte Stückchen, als zwei Herren

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