Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
schob den Hut zurecht, damit er ihr nicht über die Augen fiel. »Jetzt werde ich nach Esel riechen. Aber das ist wohl immer noch besser als ein Sonnenbrand.«
»Ich möchte, dass du gesund bist, um meine Fragen zu beantworten, und dir keinen Sonnenstich einfängst.«
»Apropos Sonnenstich - ich bin müde, Nikolai. Ich würde jetzt lieber zurückgehen.«
Ihre Bitte erinnerte ihn daran, dass sie mehrere Tage bewusstlos gewesen war, und darum drehte er sich um und schlug mit ihr den Rückweg ein. »Als du mit dem Unwetter gekämpft hast - was passierte da?«
Sie machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich bin mir nicht ganz sicher, aber der Sturm bewies, dass ich einen großen Teil der Macrae'schen Empfänglichkeit für Wettermuster geerbt habe. Ich bin mir des Wetters bewusster geworden, seit ich aus London abgereist bin. Vielleicht ist mein Talent jetzt ausgeprägter, weil ich weiter südlich bin. Aber obwohl ich die Muster fühlen kann, habe ich nicht die kolossale Macht, die nötig ist, um große Sturmsysteme zu beeinflussen. Deshalb musste ich mich deiner Kraft bedienen.« Ihre Brauen zogen sich zusammen. »Tut mir leid, dass mir keine Zeit blieb, um dich besser vorzubereiten. Ich habe gehört, dass ein solch jäher Eingriff in jemandes Energiefeld verstörend und auch schmerzhaft sein kann. Eine Zusammenführung von Macht erfolgt gewöhnlich erst nach sorgfältiger Besprechung und behutsamer Vorbereitung. Und auch dann nur unter Freunden.«
Obwohl es tatsächlich schmerzhaft gewesen war, tat er ihre Bemerkung mit einer Handbewegung ab. »Du hast getan, was nötig war. Aber am Ende verspürte ich noch eine andere Energie, als wäre da noch eine dritte Person. Oder habe ich mir das nur eingebildet?«
»Du bist sehr einfühlsam«, entgegnete sie mit einem anerkennenden Nicken. »Ich war nahe daran, die Kontrolle über das Zentrum des Sturmes zu verlieren, und wusste, dass ich nicht die Kraft hatte, seiner wieder Herr zu werden. Aus purer Verzweiflung versuchte ich, die Hilfe meines Bruders zu gewinnen, der der mächtigste Wettermagier in ganz England ist.«
»Dein Bruder war mit uns verbunden?«, fragte Nikolai, dem der Gedanke abgrundtief zuwider war. Mit Jean Macrae hatte er in gewissem Maße Frieden geschlossen, aber ihr Bruder war eine andere Sache.
»Ohne ihn wäre das Schiff gesunken und wir alle ertrunken«, gab sie zu bedenken. »Ich hätte ihn über eine solch große Entfernung auch nicht erreichen können, wenn keine so starke Bindung zwischen uns bestünde. Deshalb war auch er von wesentlicher Bedeutung für die Rettung deines Schiffes. Und das bedeutet doch wohl hoffentlich, dass du deine Rachegelüste gegen ihn aufgibst?«
»Verdammt, Jean Macrae, gibt es denn niemanden in deiner Familie, den ich für das Verbrechen deines Vaters büßen lassen kann?«, fauchte Nikolai, empört über ihr Ansinnen.
»Wenn mein Vater noch am Leben wäre, würde ich euch zwei in ein Zimmer setzen, um über das zu reden, was am Tag deiner Gefangennahme vorgefallen ist. Vielleicht würdest du dann herausfinden, dass die Wahrheit anders ist als deine Erinnerungen. Aber selbst wenn mein Vater dich im Stich gelassen hat ...« Jeans Augen wurden schmal. »Duncan und ich haben nichts getan, um dir zu schaden. Absolut nichts. In dem Sturm haben wir dein Schiff gerettet, deine Mannschaft und all deine zukünftigen Kämpfe gegen die Sklaverei, von deinem kostbaren Hals erst ganz zu schweigen. Das tilgt jede Blutschuld, auf die du ein Anrecht zu haben glaubst.«
Wut stieg in ihm hoch, solch heftige, wilde Wut, dass er seine Fäuste gegen die Mauer des nächsten Hauses knallen oder mit bloßen Händen einen Sklavenhändler töten wollte, um seiner lange aufgestauten Rage Luft zu machen.
Er hatte für seine Rache gelebt, hatte sich an ihr festgeklammert wie an einer Rettungsleine, wenn er, blutend von der Peitsche, auf einer Galeere gelegen hatte oder in der Wüste beinahe verdurstet wäre. Er wollte Macrae töten, der ihm ein Zuhause und Sicherheit versprochen hatte, nur um dieses Versprechen dann kurzerhand wieder zu brechen. Und mindestens genauso sehr wollte er Duncan Macrae vernichten, das Lieblingskind des Alten, den wahren Sohn, dem alles einfach in den Schoß gefallen war, was Nikolai sich so verzweifelt für sich selbst gewünscht hatte.
Aber er konnte auch nicht bestreiten, dass etwas Wahres an Jeans Worten war. Sie und ihr Bruder hatten ihm nicht direkt etwas zuleide getan, und gemeinsam hatten sie die Justice und
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