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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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viel bequeme Männer gäbe! Hemd hoch und Hose runter wirkt mehr als hundert Pillen.«
    Das mochte alles stimmen. Auch bei den drei Magengeschwüren, die Corinna Doerinck angeblich mit Strahlen aus ihren Händen ausgetrocknet hatte, wäre eine vernünftige Erklärung denkbar. Doch im Fall Hambach war die Grenze des medizinisch Möglichen überschritten.
    Hambach empfing Dr. Willbreit zunächst in dem Glauben, einen neuen Patienten zu haben. Zwar kam der Neue außerhalb der Praxiszeit, aber das kannte Hambach seit über sechsunddreißig Jahren. Das Einzugsgebiet seiner Praxis war groß. Auch aus dem Hinterland kamen die Bauern zu ihm – nicht, weil Hellenbrand näher lag als Billerbeck oder Havixbeck, sondern weil Dr. Hambach sie auf westfälisch Platt ansprach und immer den richtigen Ton traf. Ihm nahm man es nicht übel, wenn er sagte: »Dat kommt vom Supen!« Es stimmte ja auch, und man ließ für einige Zeit die Kornflasche im Schrank. Nach Havixbeck oder Billerbeck konnte man dann immer noch zum Röntgen, zum Orthopäden, zum Augenarzt; aber es gehörte sich eben einfach so, daß man den Umweg über Dr. Hambach machte. Es gab also keinen Samstag oder Sonntag oder eine feste Praxiszeit. »Fahr'n wir zum Doktor«, sagten die Bauern und fuhren los. Der Doktor gehörte zu ihnen wie Pellkartoffeln und Schnittlauchquark. Und weil das so war, hatte sich Dr. Hambach eine große gekühlte Vorratskammer gebaut, die zu jeder Jahreszeit randvoll war.
    Ein Hausarzt ist nämlich auch Mitnutznießer bei Hausschlachtungen.
    Dr. Hambach begrüßte den neuen Patienten an der Haustür und verzichtete nach einem Blick auf Auto und Kleidung, ihn in Platt anzusprechen. Ein Zugezogener. Es wurde ja in letzter Zeit modern, sich in der Gegend von Hellenbrand ein Zweithaus zu bauen. Vor allem aus dem Ruhrgebiet kamen die Lufthungrigen.
    »Was haben Sie denn für Beschwerden?« fragte er, als sein Besucher in dem sehr antiquierten Sprechzimmer stand. Eine Praxis von vorgestern, dachte Willbreit. Das einzig Neue war ein Gerät, mit dem man den Herzschlag messen und über einen Lautsprecher verstärken konnte. Der Patient hörte dann sein Herz wie eine Pauke dröhnen; bei Hambachs Patienten löste diese Maschine Begeisterung und Hochachtung aus.
    »Keine.«
    »Das ist gut!« Hambach ging hinter seinen alten Schreibtisch. »Darunter leidet eine Vielzahl von Kranken.«
    »Mein Name ist Willbreit. Professor Dr. Willbreit. Zweite Chirurgische Münster.«
    »So kann man sich irren.« Dr. Hambach kam hinter seinem Schreibtisch wieder hervor und zeigte auf eine Sesselgruppe an der Wand. »Setzen wir uns. Trinken wir ein Körnchen?«
    »Danke. Ich muß noch nach Münster zurück. Ich habe schon über die Maßen Alkohol in mir. Wenn ich jetzt in eine Tüte hauchen müßte, dürfte ich die nächste Zeit nur zu Fuß gehen.« Willbreit setzte sich in einen der verschlissenen Ledersessel und wartete geduldig, bis Dr. Hambach sich ein langes, schmales Glas voll Korn eingeschenkt hatte. »Prost, Herr Kollege!«
    »Schluckers Dank.« Hambach setzte das Glas ab. »Wissen Sie, was der angeblich 143 Jahre alte kasakische Steppenreiter bei einem Interview gesagt hat? ›Mein Alter verdanke ich meinen neun Frauen und den täglichen hundert Gramm Wässerchen‹. Da ich es nur auf eine Frau gebracht habe – Frieda starb vor fünf Jahren –, muß ich mich ans Wässerchen halten.« Er hob sein Glas. »Wirklich keinen, Herr Professor?«
    »Danke. – Sie fragen nicht, was mich zu Ihnen führt?«
    »Da mir Ihr Name – außer von verschiedenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen – durch Ljudmila Doerinck bekannt ist, wäre es nur logisch, daß Sie von den Doerincks kommen.«
    »Das stimmt. Ich hatte heute Gelegenheit, der Tochter Corinna zuzusehen.«
    »Ungeheuerlich, nicht wahr?«
    Dr. Hambach setzte sich Willbreit gegenüber. Die Flasche behielt er in der Hand und stützte sie auf sein linkes Knie. Willbreit musterte den Kollegen unsicher. Diese Bemerkung war doppelsinnig.
    »Ungeheuerlich. Das kann man wohl sagen.«
    »Phänomenal!«
    »Auf jeden Fall – verbrecherisch.«
    »Das habe ich fast erwartet.« Dr. Hambach klopfte mit der Kornflasche auf sein Knie. »Was nicht sein darf, kann nicht sein. Die Philosophie der Hochmütigen.«
    Willbreit schluckte es, ohne aufzubrausen. Er hatte heute schon so viel in sich aufgenommen, daß Hambachs Bemerkung einfach an ihm herunterlief. »Mich interessiert etwas ganz anderes. Ich habe noch nie von einer hysterischen

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