Die Stunde des Jägers - EXOCET
Tür hinter sich zu.
»Wozu die Masken?« fragte Lewin. »Das verstehe ich nicht.«
»Zum Zeichen, daß sie ihren Ehemännern gehören. Kein anderer Mann darf sie sehen.«
»Seltsames Land.« Lewin schloß die Augen. »Viel zu heiß.«
»Wie alt sind Sie?« fragte Villiers.
»Achtundsechzig.«
»Sind Sie zum Überlaufen nicht ein bißchen zu alt? Haben recht lange damit gewartet.«
Lewin schlug die Augen auf und lächelte milde. »Ganz einfach. Letzte Woche starb meine Frau in Leningrad. Da ich kinderlos bin, kann mich niemand erpressen, wenn ich die Freiheit erreicht habe.«
»Was sind Sie von Beruf?«
»Professor für Konstruktionstechnik an der Universität Leningrad. Mein Spezialgebiet ist der Flugzeugbau. Die sowjetische Luftwaffe hat in Fasari fünf MIG 23 stationiert, angeblich zur Pilotenausbildung. Es muß sich also um die TrainerVersion handeln.«
»Mit Modifikationen?« schlug Villiers vor.
»Genau, für den Einsatz als Erdkampfflugzeuge in gebirgigem Gelände. Die Umbauten wurden in Rußland vorgenommen, aber es kam zu Problemen, die zu lösen man mich rief.«
»So, und Sie hatten endgültig die Nase voll? Wohin wollten
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Sie dehn, nach Israel?«
»Nicht unbedingt. Zuerst einmal bin ich kein überzeugter Zionist. Nein, England käme mir viel attraktiver vor. Neunzehnhundertneununddreißig war ich einmal mit einer Handelsdelegation dort, kurz vor Kriegsausbruch. Das waren die zwei schönsten Monate meines Lebens.«
»Aha.«
»Neunzehnhundertneunundfünfzig hoffte ich, aus Rußland herauszukommen. Führte einen heimlichen Briefwechsel mit Verwandten in Israel, die helfen wollten, wurde aber von jemandem verraten, den ich für einen echten Freund hielt. Eine alte Geschichte – ich bekam fünf Jahre.«
»Im Gulag.«
»Nein, an einem sehr viel interessanteren Ort. Ob Sie es glauben oder nicht, in einer nordirischen Kleinstadt namens Drumore.«
Villiers wandte sich überrascht um. »Das verstehe ich nicht.«
»Drumore, eine nordirische Kleinstadt, mitten in der Ukraine.« Der Alte lächelte über Villiers verblüfftes Gesicht. »Das sollte ich wohl genauer erklären.«
Als er geendet hatte, saß Villiers nachdenklich da. Subversive Techniken und Terrorismusbekämpfung waren schon seit Jahren sein Geschäft, besonders in Irland, so daß er Lewins Geschichte gelinde gesagt faszinierend fand. »Über Gatschina, wo das KGB Agenten für die Arbeit in England und so weiter ausbildet, wußte ich Bescheid, aber diese andere Sache ist mir neu.«
»Und Ihren Geheimdienstleuten bestimmt auch!«
»Im alten Rom wurden Sklaven und Kriegsgefangene als Gladiatoren für den Kampf in der Arena ausgebildet«, merkte Villiers an.
»Bis auf den Tod«, fügte Lewin hinzu.
»Mit einer Überlebenschance, wenn man besser als der Geg
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ner war. Genau wie jene Dissidenten in Drumore, die Polizisten spielten.«
»Gegen Kelly hatten sie kaum eine Chance«, sagte Lewin.
»Wohl kaum. Klingt, als wäre er etwas ganz Besonderes.«
Der Alte schloß die Augen. Er atmete rauh und mühsam, war aber binnen weniger Minuten eingeschlafen. Villiers lehnte sich in die Ecke zurück und fühlte sich erbärmlich unbehaglich. Immer wieder mußte er an Lewins seltsame Geschichte denken. Er selbst hatte viele Marktflecken in Ulster kennengelernt, Crossmaglen zum Beispiel. Unangenehmer Ort. So gefährlich, daß die Truppen per Hubschrauber ein- und ausgeflogen werden mußten. Doch Drumore in der Ukraine – das war eine andere Geschichte.
Nach einer Weile sank ihm das Kinn auf die Brust, und auch er döste ein.
Er wurde von einem Raschid unsanft wachgerüttelt. Ein zweiter Araber weckte Lewin. Der Mann zerrte Villiers auf die Beine und gab ihm einen Stoß, daß er durch die Tür stolperte. Dem Sonnenstand nach war es inzwischen Nachmittag. Sehr viel interessanter war der Halbketten-Schützenpanzer. Ein umgebauter BTR, mit Wüsten-Tarnfarbe gestrichen. »Sandkreuzer« nannten die Russen das. Daneben stand ein halbes Dutzend Soldaten in Arbeitsanzügen aus Khaki, jeder mit schußbereitem AK-Sturmgewehr. Zwei weitere standen im Sandkreuzer an einem schweren Maschinengewehr vom Kaliber 12.7 mm, mit dem sie das gute Dutzend Raschids, die mit ihrem Gewehr auf dem Arm zuschauten, bestreichen konnten.
Salim drehte sich um, als Lewin hinter Villiers herausgebracht wurde. »So, Villiers Sahib, jetzt müssen wir uns trennen. Wie schade. Ich habe unsere Gespräche
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