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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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deutete auf die Zettel, um die Totenschwere dieses Gesprächs zu verlassen. »Ist das eine Art Lotterie oder Bingo, was Sie da spielen?«
    »Nein, ich schreib die Nummern von Geldscheinen auf. Ein Tick. Wenn ich einen neuen Schein habe, muss ich die Nummer aufschreiben. Hab ich schon länger, ist was Zwanghaftes, glaub ich.«
    »Hatte Ihr Mann ein Arbeitszimmer? Kann ich es mir vielleicht mal anschauen?«
    »Ja, oben. Aber da gibt es nichts zu sehen. Mein Mann hat es ausgeräumt, bevor er ins Krankenhaus ging.«
    Als Maler am Gehen war, schon in der Haustür stand, fragte er: »Haben Sie Pläne? Werden Sie hierbleiben?«
    »Noch keine Pläne. Aber hierbleiben kann ich nicht. Ich weiß nur noch nicht, wohin ich soll.«
    »Sie sind die Alleinerbin?«
    »Ja«, sagte Annabel Senne, »aber Alleinerbin von nichts. Das Haus ist gemietet. Das Konto ist leer. Witwenrente. Sei’s drum.«
    »Ihr Mann hat von der Familie von Kattenberg vor etwa anderthalb Jahren 500000 Euro erhalten, eingezahlt auf ein Schweizer Konto. Wissen Sie von dem Geld?«
    Annabel Senne wusste nichts von dem Geld und nichts von dem Konto. Als Maler in seinen Wagen stieg, stand sie an der Gartentür. Er glaubte ihr, dass sie wirklich gar nichts wusste über ihren Mann.
    »Wir fahren nach Straubing ins Krankenhaus«, sagte er zu Inge. Den Namen des Arztes hatte er sich aufgeschrieben. Dr. Lars Matthiessen. Ein beeindruckender Mann, hatte Frau Senne gesagt. Die Hälfte des Jahres arbeite er in der Straubinger Klinik, die andere Zeit als Arzt in Krisengebieten Afrikas. Sie habe gute Gespräche mit ihm gehabt.

    Auf der Fahrt nach Straubing schilderte Maler seiner Frau die Eindrücke seines Hausbesuchs. Inge hörte sich alles an, ihr einziger Kommentar war: »O Gott, diese arme Frau.«
    Maler nickte. »Ja, du siehst, es gibt Frauen, die treffen es noch schlimmer als du mit mir.« Er versuchte ein Grinsen, es misslang. Inge lachte.
    Wovon er ihr nicht erzählte, waren die Zettel, die Annabel Senne mit den Nummern von Geldscheinen beschrieben hatte. Maler hatte in den letzten Wochen viel Psychologisches gelesen, die Bücher stapelten sich schon in der Wohnung. Bei Freud hatte er über Zwangsstörungen gelesen, die dieser als verzweifelten Versuch beschrieb, erfahrene Enttäuschung zu bewältigen, eine zerstörte Ordnung wiederherzustellen. Und tatsächlich hatte im Jahr 1912 eine Patientin bei ihm gesessen, die nicht aufhören konnte, die Nummern von Geldscheinen aufzuschreiben. Freud notierte, das fehlgeleitete Unterbewusstsein dieser verletzten Seele versuche, durch das Festhalten der Nummern eine Verlässlichkeit herzustellen – eine Verlässlichkeit, die sie in ihrem Leben schmerzhaft vermisste. Hätte Freud Annabel Senne helfen können?, fragte sich Maler. Und dachte dann: Was man alles so denkt, wenn der Tag lang ist.
    Inge parkte den Wagen direkt vor der Klinik. »Du setzt dich hier in das Café. Ich bringe diesen Doktor hierher. Das schaffe ich schon.« Als Maler sie fragend ansah, sagte sie: »Du kannst nicht wieder in ein Krankenhaus gehen. Erinnere dich, wie es beim letzten Mal war. Du fällst mir um. Ich sage dem Doktor, wir wollen kein Aufsehen erregen, deshalb wartest du draußen.«
    »Wir?«, fragte er.
    »Ja, wir. Ich bin deine Assistentin, was sonst?«
    Maler nahm ihre Hand und küsste sie kurz auf die Wange. Er ging in das Café und bestellte irgendetwas, von dem er wusste, dass er es ohnehin nur schwer würde trinken können, ohne es vor lauter Zittern zu verschütten.

    Überraschend schnell war Inge zurück, mit Doktor Matthiessen im Schlepptau. Ein schmaler Mann, asiatisch aussehend, Maler tippte auf japanisch, zu Recht, wie sich später herausstellte. Matthiessen und Inge setzten sich.
    Der Arzt sagte, er habe leider nur ein paar Minuten. »Ich muss gleich operieren.« Er hatte die Krankenakte von Christian Senne dabei und begann direkt zu referieren: »Die Leukämie-Diagnose erfolgte vor zwei Jahren. Herr Senne hat jede Behandlung abgelehnt. Er war sehr entschlossen. Da die Krankheit schon weit fortgeschritten war, konnte ich das auch nachvollziehen. Hier habe ich alles schriftlich: Seine Patientenverfügung, seine Erklärungen, dass er keine Schmerzen leiden möchte. So kam es auch. Es war ein sanfter Tod.« Matthiessen schaute auf die Uhr. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
    »Seine Frau wusste nichts von seiner Krankheit, bis kurz vor seinem Tod. Wussten Sie das?«
    »Ja«, sagte Matthiessen. »Er wollte, dass niemand

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