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Die Stunde des Spielers

Die Stunde des Spielers

Titel: Die Stunde des Spielers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Vaughn
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ich stand auf einem Fleck Erde. Die Luft roch eigenartig, sumpfig, verfault, wie ein Morast oder ein Aquarium, das dringend gereinigt werden musste. Algen, Fische und Schlamm. Ich zitterte vor Kälte, und Feuchtigkeit kroch mir unter die Haut, bis in die Knochen. Ich schlang die Arme um mich.
    Da bewegte sich etwas. Ich spürte es mehr, als ich es sah, eine Bewegung am Boden, eine Verdrängung von Luft, die eine Woge eines neuen Geruchs mit sich brachte, nach verwestem Fleisch. Rechts von mir bewegte sich ein dunklerer Schatten, eine Oberfläche, die in einer unsichtbaren Lichtquelle glänzte. Etwas Nasses und Knochenloses kam auf mich zugekrochen. Ich wollte schreien und loslaufen. Doch ich konnte nichts tun.
    Drei Schritte nach vorn würden mich wieder zu meinem Ausgangspunkt bringen. Doch vor mir herrschte nur Schatten. Überhaupt keine Kiste, keine Truhe, keine Bühne, kein Magier. Das hier war eine völlig andere Art von Magie. Keine Tricks, keine Spiegel.
    Die Arme fest um mich geschlungen, schloss ich die Augen und trat vorwärts. Eins, zwei, drei, genau so, wie ich hergekommen war. Die Luft schloss sich um mich, doch anders als erwartet, roch ich nicht das Holz der Kiste, den Bühnenschweiß. Ich wagte nicht, die Augen zu öffnen, für den Fall, dass ich nicht Dunkelheit sähe, sondern die gleichen undeutlichen Schatten.
    Etwas berührte mich am Arm, und ich schrie los.
    Eine Hand legte sich auf meinen Mund, und eine andere Hand - diejenige, die mich am Arm hielt - zog mich vorwärts, aus der Kiste heraus auf die Bühne. Odysseus Grant sah mich an, sah mir in die Augen. Ich blinzelte zurück, verblüfft, erleichtert und durcheinander. Ich war erstarrt. Sogar meine Wölfin regte sich nicht.
    Der Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen sich nicht bewegen.«
    »Was ...«, stammelte ich. Bekam meine Stimme nicht unter Kontrolle, was eigenartig war. Ich schluckte und versuchte es erneut. »Was ist das für ein Ort?«
    »Es ist bloß eine Kiste«, sagte er. »Eine Zaubertruhe.«
    Er führte mich zu einem Stuhl an der Seite der Bühne, was gut war, denn als ich mich setzte, fiel mir erst auf, wie weich meine Knie geworden waren.
    »Sie sind weg«, sagte er. »Die beiden dürften eine Weile auf der falschen Spur sein, aber Sie sollten sich vielleicht besser versteckt halten.«
    Ich war mir nicht sicher, ob ich das schaffte. Ein Lächeln unterdrückend, schüttelte ich den Kopf.
    »Wie sind Sie überhaupt an die geraten?«
    »Das passiert, wenn ein Werwolf inmitten einer Waffenausstellung landet«, sagte ich. »Es hat irgendwann an diesem Wochenende so weit kommen müssen. Alles andere ist eine lange Geschichte.«
    »Sie sehen aus, als könnten Sie einen Schluck Wasser gebrauchen. Warten Sie hier...«
    »Nein - bleiben Sie. Mir geht es gut, wirklich. Ich muss nur einen Augenblick sitzen.«
    »Na gut.« Er lehnte an der Mauer in der Nähe und zog ein Päckchen Karten aus der Tasche, das er zu mischen begann.
    Ich brauchte ein bisschen Zeit, um wieder zu Atem zu kommen, das war alles. Doch sobald ich aufbrach, wäre ich wieder allein. Mein Rudelinstinkt hatte angeschlagen. Ich brauchte jemanden in meinem Rücken, und im Moment war dieser jemand Grant.
    Ich sollte ihm nicht vertrauen. Über ihn und seine Beweggründe wusste ich genauso wenig wie über Balthasar. Der Deckel der Truhe stand immer noch offen. Die Requisite ragte drohend empor, doch im Innern war nur Dunkelheit zu sehen. Mehr war da nicht, oder?
    Ich sagte: »Diese Kiste. Es ist nicht hundertprozentig sicher da drin, oder?«
    »Nein. Nicht hundertprozentig.«
    »Es ist keine Truhe. Es ist ein Portal.«
    Er verzog keine Miene. Sein Lächeln war hart, verschlossen, und den Blick hielt er auf seine Karten gerichtet. Er mischte weiter das Kartenspiel, jedes Mal auf andere Art und Weise, ein Dutzend unterschiedliche Methoden, die die Karten verschwimmen ließen.
    »Wer sind Sie in Wirklichkeit?«, fragte ich.
    »Vermutlich«, sagte er, »ist meine Show genau das - reine Show. Man könnte sagen, meine echte Aufgabe ist die eines Türhüters. Eines Wächters.«
    »Für das, was sich darin befindet?« Sein Schweigen deutete ich als Zustimmung. In der Tat ein Portal. Eine Tür in
    eine andere Welt, als sei die diesseitige nicht schon kompliziert genug geworden. Ich fragte: »Was ist da drin?«
    »Haben Sie jemals Lovecraft gelesen?«
    »Nein«, sagte ich.
    Er schnitt eine sarkastische Grimasse. »Nun ja. Gibt es

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