Die Stunde des Spielers
jemanden, der Sie abholen kommen kann? Jemand, bei dem Sie bleiben können, falls diese beiden wieder nach Ihnen suchen?«
Ich musste mich von einem Bann befreien. Die Wirklichkeit kehrte allmählich wieder ... langsam. Mir fiel ein: Ich war ohnehin auf dem Weg zu Grant gewesen, bevor die beiden Kopfgeldjäger mich abgefangen hatten.
»Im Moment nicht. Deshalb wollte ich eigentlich sowieso mit Ihnen sprechen.«
Mittlerweile vollführte er Tricks mit den Karten. Er zeigte eine Karte - die Pik Drei -, ließ sie wieder in die Mitte des Stapels gleiten, mischte, tippte oben auf das Spiel, wendete die oberste Karte. Die Pik Drei. Mischte, wählte eine Karte aus - diesmal das Herz Ass -, mischte es wieder in den Stapel, tippte, und da war es. Das wiederholte ein weiteres Dutzend Mal und zog ein weiteres Dutzend Karten wie aufs Stichwort hervor. Seine Finger schienen sich instinktiv zu bewegen, als seien sie mit einem eigenen Gehirn ausgestattet und vollführten einen anmutigen, durchchoreografierten Tanz.
»Ich habe mir sagen lassen, dass Sie Leute wieder erscheinen lassen können, wenn sie verschwunden sind«, sagte ich.
»Unter den richtigen Umständen.«
»Versenkungen und versteckte Spiegel?«
»Etwas in der Richtung. Vermissen Sie jemanden?«
»Einen Freund von mir.« Ich hielt inne, senkte den Blick. Es bestand wohl kein Grund, ein Geheimnis daraus zu machen. »Mein Verlobter. Und erzählen Sie mir bloß nicht, dass er wahrscheinlich kalte Füße bekommen und mich sitzengelassen hat.«
»Was ist passiert?«
Ich erzählte es ihm.
Grant sagte: »Es klingt nach völlig alltäglichen Umständen. Ich bin mir sicher, die alltäglichen Lösungen - die Polizei - werden ihn auch wieder zutage fördern.«
Er konnte mir nicht weiterhelfen. Das überraschte mich nicht. Aber ich hatte es wenigstens versucht. Dann war es also an der Zeit, mich auf den Straßen umzusehen. Doch ich wollte nicht weg von hier. Irgendwie fühlte ich mich hier sicher trotz seines eisblauen Blickes und der Truhe, die in eine andere Welt führte. Sich sicher zu fühlen - das war irgendwie auch ziemlich sexy. Man gelangte an einen Punkt, an dem der Märchenprinz einem nicht nur Romantik und Abenteuer, sondern vor allem Zuverlässigkeit zu bieten hatte. Das prickelnde Gefühl, ständig am Limit zu leben, im Gegensatz zu dem warmen Gefühl, in einen Kokon eingesponnen und abgöttisch geliebt zu werden.
»Ja, klar, die Cops werden ihn schon finden. Aber in einem Stück?« Seufzend wandte ich den Blick ab. »Es tut mir leid. Ich habe wohl ein bisschen zu sehr diese Geschichten geglaubt, dass an Ihnen etwas ... anders ist. Mal abgesehen von der Truhe.«
»Können Sie sich vorstellen, wie wohlhabend ich wäre, wenn ich Leute herbeizaubern könnte, bloß indem ich
mit den Fingern schnippte?«
Ich schnippte. »Simsalabim, hier ist Jimmy Hoffa.«
»Genau. Ich bin nicht gewillt, den Preis für diese Art von Magie zu entrichten.«
Ich verengte die Augen zu Schlitzen. »Aber diese Art von Magie existiert?«
»Was meinen Sie?«
Im Laufe der letzten Jahre hatte ich vieles gesehen, das laut Verstand unmöglich war. Viel Magie. Mein ganzes Leben war zu einer Mission geworden, das Unmögliche aufzuzeichnen. Auf diese Weise gelang es mir, in so etwas wie einer Realität verankert zu bleiben, in einer Welt, in der Werwölfe echt waren und ich einer von ihnen.
»Ich glaube, es gibt vieles in dieser Welt, das ich noch immer nicht begreife«, sagte ich.
Er betrachtete mich mit dem Anflug eines Lächelns. Es war die ungekünstelteste Miene, die ich je an ihm gesehen hatte - ja, sie wirkte regelrecht herzlich. »Sie überraschen mich. Ihre Art tendiert eher zum Chaos. Sie aber nicht.«
Kitty Norville, eine ordnende Kraft? Abgefahren. Ich hatte das Gefühl, eine Art Test bestanden zu haben.
»Ich tue gern so, als würde alles gut werden. Dass alles normal ist.«
»Wie geht es Ihnen damit?«
»An manchen Tagen klappt es besser, an manchen schlechter.«
Auf einmal stieß er sich von der Wand ab und blickte in Richtung der Theatertür im hinteren Teil des Saales.
Unbewusst ordnete er ständig den Kartenstapel. Er hielt die Karten auf eine Art, wie ich schon manche Leute hatte Waffen halten sehen. Er wirkte wie ein Tier, das Gefahr gewittert hatte.
Ich blickte zu der vermuteten Gefahr hin, sah aber nicht, was ihm aufgefallen war, oder was er mit den Sinnen erspürte, über die er verfügte, welche auch immer das sein mochten. Doch nach einem Augenblick
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