Die Sünde
er ständig nach dem anderen Ausschau hielt, konnte er ihn nicht mehr sehen. Doch er hatte sich beim Duschen genug Appetit geholt. Bald würde er voll auf seine Kosten kommen. Er konnte es kaum erwarten, bis es so weit war. Ihm war allerdings klar, dass er sich an die vorgegebene Zeit halten musste, wollte er den anderen nicht verärgern. Es war nicht das erste Mal, dass er sich mit einem Stricher einließ. Er wusste, dass manche sehr empfindlich reagierten, wenn man nicht nach ihrer Pfeife tanzte. Aber so einen Traummann hatte er noch nicht gehabt. Durch nichts wollte er sich diese Nummer verscherzen.
Bevor Radecke die Türklinke hinunterdrückte, schaute er sich nach allen Seiten um. Auch er wollte von niemandem gesehen werden. Nicht auszudenken, wenn herauskäme, dass er in der Mittagspause seinem Laster auf diese Art frönte.
»Hallo, komm rein und mach es dir bequem«, empfing ihn eine angenehme Stimme. Obwohl es heller Tag war, herrschte im Innern nur gedämpftes Licht, da die dichten Vorhänge an den Fenstern zugezogen waren.
Sein Gastgeber trug einen weißen Bademantel. In Erwartung eines ganz besonderen Vergnügens ließ sich Radecke hörbar atmend auf der ausgeklappten Bettcouch nieder. Er hatte das Gefühl, sein Penis würde jeden Augenblick den Reißverschluss der Hose aufsprengen. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.
»Wie hättest du es denn gerne?« Der junge Mann lächelte und schaute ihm tief in die Augen.
Radecke grinste zurück. »Was hast du mir zu bieten?«
»Erst die Kohle.«
Radecke wusste, dass man bei einem Stricher immer im Voraus zahlen musste. Er zog seine Geldbörse, entnahm ihr zwei 50-Euro-Scheine und hielt sie dem anderen entgegen.
»Oben oder unten?«, fragte der vermeintliche Liebesdiener. Er kannte bereits die Antwort.
Radecke überlegte kurz. Er würde es sehr genießen, diesen bildschönen Mann in sich zu spüren. In lustvoller Erwartung grinste er und antwortete: »Erst unten.«
»Okay, dann zieh dich aus und leg dich auf den Bauch. Das ist Standard. Wenn du mehr willst, musst du noch etwas drauflegen.«
Radecke entledigte sich seiner Kleider und legte sich langgestreckt auf den Bauch. Er hörte, wie der andere hinter ihm eine Schublade aufzog und daraus etwas nahm. Gleitcreme und Präservativ, dachte er.
»Kannst du das Ding bitte vor meinen Augen überziehen? Das würde mir gefallen.«
»Kleinen Moment«, sagte der andere.
Radecke spürte den Einstich kaum. Er wunderte sich für den Bruchteil einer Sekunde darüber, als es auch schon in seiner rechten Gesäßhälfte seltsam warm wurde. Den Kopf konnte er gerade noch drehen, um nach hinten zu schauen. Dann fiel er sanft in ein Meer von rosaroter Watte.
16
Wie erwartet, wurde am Tag nach Eintreffen des Herzens in allen Zeitungen des Landes über den grausamen Mord berichtet. Die größte Boulevardzeitung Deutschlands verwendete eine halbe Titelseite für die Überschrift »Psychopath mordet aus Lust – Kripo schaut zu«. In den Radio- und TV -Nachrichten kamen unzählige Beiträge, die erstaunliche Details enthielten. Sowohl in Spiegel online als auch in anderen Internetportalen wurden die Verstümmelungen des Opfers bis hin zu dessen Tötung ausführlich beschrieben. Außerdem wurde zu Berichten über Todesstrafe, Kannibalismus, Leichenschändung und Ähnlichem verlinkt. Das Internet verbreitete den Fall in Windeseile weltweit. Unzählige in- und ausländische Journalisten riefen bei der Polizeidirektion Heidelberg an, um Näheres zu erfahren. Die Telefone liefen heiß.
Kriminaldirektor Lehmann und Soko-Leiter Wegner schnaubten vor Wut, weil die Polizei in fast allen Berichten als untätig oder gar unfähig hingestellt wurde. »Die Polizei tappt nach wie vor im Dunkeln« war noch die harmloseste Variante.
Noch am selben Tag stattete der Innenminister den beiden Polizeiführern einen Besuch ab. Er ließ sich mit dem Helikopter nach Heidelberg fliegen, was der Dringlichkeit seines Erscheinens gewaltigen Nachdruck verlieh.
Bevor er auf dem angebotenen Stuhl Platz nahm, polterte er auch schon los: »Wie konnte so etwas passieren? Welcher Hornochse hat die Informationen an die Presse gegeben? Warum konnte dieser Mord nicht verhindert werden? Haben Sie Däumchen gedreht, meine Herren?«
Der Innenminister sah in ratlose Gesichter und setzte sich.
»Haben Sie wirklich keine Ahnung, wer das Opfer sein könnte?«
»Nicht die geringste, Herr Minister«, antwortete Wegner.
»Wir haben bislang alle
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