Die Sünden der Gerechten - Rankin, I: Sünden der Gerechten - The Impossible Dead
den » Patienten « , weniger den » Insassen « zu sehen. Er war groß, vielleicht eins neunzig oder eins zweiundneunzig, und hatte breite Schultern. Seine Haare waren lang und grau und reichten ihm den halben Rücken herunter, sein grauer Vollbart wäre der Stolz eines jeden Zauberers gewesen. Die Augen hinter den runden Brillengläsern waren groß, die Brille selbst war verschmiert und reinigungsbedürftig. MacIvers kurze Fingernägel waren schmutzverkrustet. Im Zimmer roch es entfernt nach Schwefel.
» Mr MacIver, mein Name ist Fox. « Fox konnte die Zeitung in den spiegelnden Brillengläsern sehen. Wieder musste ein Absatz unterstrichen werden. MacIver tat dies mit äußerster Sorgfalt, ließ jedes Wort aus, das er nicht für wesentlich hielt. Soweit Fox sehen konnte, handelte es sich um einen Artikel über die geplante neue Brücke über den Firth of Forth.
» Die haben die Maut abgeschafft « , sagte Fox. » Die Forth Road Bridge – eine der ersten Errungenschaften der SNP , als sie an die Macht kam. «
» Das nennen Sie Macht? « , unterbrach ihn MacIver. Seine Stimme klang, als käme sie vom Grund eines Brunnens. » Genau das ist Macht eben nicht. « Fox wartete auf weitere Ausführungen, doch MacIver widmete sich wieder seiner Arbeit.
» Was ist Macht denn dann? « , fragte Fox.
» Macht ist etwas, das man wie eine Waffe in beiden Händen hält, um seine Feinde ins Herz zu treffen. Wenn man denen, die’s verdient haben, Licht bringt und allen anderen kalte Finsternis – das ist Macht. «
Fox überflog die Titel der Bücher, die sich in einem der Regale stapelten. Einige Namen kannte er.
» Ich erinnere mich, dass wir MacDiarmids Gedichte in der Schule gelesen haben « , erzählte Fox.
» Christopher Murray Grieve – das war sein richtiger Name. «
» Haben Sie ihn gekannt? «
» Vielleicht sind wir uns mal über den Weg gelaufen – in Edinburgh und in Glasgow gab es diese Treffpunkte. Für Prediger und Kommunisten, Philosophen … « Seine Stimme driftete ab, und er stellte seine Arbeit am Artikel ein, starrte auf die Seite, ohne sie zu sehen. Endlich blickte er auf und seinem Besucher ins Gesicht. » Sind wir uns schon mal begegnet? Sollte ich Sie kennen? «
» Nein. «
» Ich vergesse so viel. «
» Mein Name ist Fox, und ich interessiere mich für Francis Vernal. «
» Er ist gestorben. «
» Das weiß ich. «
» Ein Märtyrer für die gerechte Sache. «
» Glauben Sie das wirklich? «
» Wenn Francis Reden gehalten hat, dann konnte er Könige auf den Thron heben oder stürzen. «
» Dann haben Sie ihn also ziemlich gut gekannt? «
» Menschen wie er sind selten – er war ein Denker, der auch anpacken konnte. Ein Mann, der nicht nur redete, sondern Taten folgen ließ. «
» Er war ziemlich aktiv « , pflichtete Fox ihm bei.
» Und deshalb musste er sterben. «
» Sie glauben also, dass er ermordet wurde? «
» Er wurde aus kürzester Entfernung erschossen. Keine vier Wochen später wurde ich abgeholt. Sie waren in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben – hatten belastendes Material in meinem Keller deponiert. Das war sehr beeindruckend, als sie die Tür eintraten und in ihren Strahlenschutzanzügen reingestürzt kamen. Ich hatte einen rosa gestreiften Schlafanzug an. « Er sprach sehr deutlich. Seine Zähne waren, soweit Fox sehen konnte, schwarz und ungleichmäßig. » Ich durfte mich nicht mal anziehen. Und sie wussten ganz genau, wo sie nach ihren ›Beweisen‹ suchen mussten. «
» Sie kamen zunächst ins Gefängnis. «
» Ja, aber das hat denen nicht genügt. Die haben gesehen, dass ich dort aufblühte, ich hab mit den Männern geredet, ihnen die Augen dafür geöffnet, dass sie unter einer Tyrannei leben. «
» Sie waren in eine Schlägerei mit
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