Die Sünden der Gerechten - Rankin, I: Sünden der Gerechten - The Impossible Dead
Sportsender um und guckte beim Essen Darts.
Er war gerade fertig, als das Telefon klingelte. Es war seine Schwester Jude.
» Was gibt’s? « , fragte er. Sie riefen sich abwechselnd an. Eigentlich wäre er dran gewesen, nicht sie.
» Ich komme gerade von Dad. « Er hörte, wie sie eine Träne wegschniefte.
» Geht’s ihm gut? «
» Er ist so vergesslich geworden. «
» Ich weiß. «
» Einer der Pfleger hat mir erzählt, dass er’s heute Morgen nicht bis zur Toilette geschafft hat. Jetzt haben sie ihm eine Windel angezogen. «
Fox schloss die Augen.
» Und manchmal vergisst er sogar, wie ich heiße oder welches Jahr wir haben. «
» Er hat auch gute Tage, Jude. «
» Woher willst du das denn wissen? Nur weil du die Rechnungen bezahlst, heißt das noch lange nicht, dass du dich einfach drücken kannst! «
» Wer drückt sich denn? «
» Ich seh dich da nie. «
» Du weißt, dass das nicht wahr ist. Ich besuche ihn immer, wenn ich kann. «
» Das ist nicht mal annähernd genug. «
» Wir können aber nicht alle ein Faulenzerleben führen, Jude. «
» Glaubst du etwa, ich suche keinen Job? «
Fox kniff erneut die Augen zu: In die Falle getappt, Malcolm. » So hab ich das nicht gemeint. «
» Das hast du genau so gemeint! «
» Lass uns das nicht vertiefen, ja? «
Sie schwiegen eine kurze Weile. Jude seufzte und ergriff wieder das Wort. » Ich hab ihm heute einen Karton voller Fotos mitgebracht. Hab gedacht, vielleicht könnten wir sie zusammen durchgucken. Aber anscheinend haben sie ihn nur traurig gemacht. Immer wieder hat er gesagt: ›Die sind alle tot. Wie kann das sein, dass alle tot sind?‹ «
» Ich besuche ihn, Jude. Mach dir keine Sorgen. Vielleicht ist es besser, wenn wir vorher anrufen. Und wenn die Pfleger der Ansicht sind, dass es sich nicht lohnt … «
» Das hab ich nicht gemeint! « Sie schrie fast. » Glaubst du, es macht mir was aus, ihn zu besuchen? Er ist unser Dad. «
» Ich weiß. Ich hab nur … « Er hielt inne, stellte dann die Frage, von der er glaubte, dass sie von ihm erwartet wurde. » Soll ich vorbeikommen? «
» Mich musst du nicht besuchen. «
» Du hast ja Recht. «
» Also, fährst du hin? «
» Natürlich. «
» Obwohl du zu tun hast? «
» Sobald ich aufgelegt habe « , versicherte ihr Fox.
» Und dann rufst du noch mal an? Erzählst, wie’s war? «
» Ich bin sicher, dass es ihm gut geht, Jude. «
» Das hättest du gerne – dann brauchst du kein schlechtes Gewissen zu haben. «
» Ich leg jetzt auf, Jude. Ich leg auf und fahr zu Dad … «
4
Im Lauder Lodge sah man das allerdings etwas anders.
Es war bereits nach neun Uhr, als Fox dort eintraf. Er hörte den Fernseher im Gemeinschaftsraum laut plärren. Leute kamen und gingen – sah nach Schichtwechsel aus.
» Ihr Vater ist schon im Bett « , bekam Fox mitgeteilt. » Wahrscheinlich schläft er. «
» Dann werde ich ihn nicht wecken. Ich möchte ihn nur kurz sehen. «
» Nach Möglichkeit stören wir unsere Klienten nicht mehr, wenn sie im Bett liegen. «
» Ist er sonst nicht immer bis zu den Zehnuhrnachrichten aufgeblieben? «
» Das war mal. «
» Nimmt er neue Medikamente? Irgendwas, wovon ich nichts weiß? «
Die Frau überlegte einen Augenblick, ob das ein Vorwurf sein sollte, und seufzte dann resigniert. » Nur eine Minute, sagen Sie? « Fox nickte, und sie nickte zurück. Was tut man nicht alles, um seine Ruhe zu haben …
Mitch Fox’ Zimmer befand sich in einem neuen Anbau des viktorianischen Gebäudes. Fox ging an dem Zimmer vorbei, in dem bis vor wenigen Monaten noch Mrs Sanderson gelebt hatte. Zwischen Mrs Sanderson und Fox’ Vater hatte sich während ihrer gemeinsamen Zeit im Lauder Lodge eine innige Freundschaft entwickelt. Fox hatte Mitch zu ihrer Beerdigung begleitet, kaum ein Dutzend Menschen waren in der kleinen Kapelle des Krematoriums erschienen. Niemand aus der Familie war gekommen, man hatte
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